I Das Wesen und die Hauptrichtung der theoretischen Volkswirtschaftslehre

Die Frage nach Net Working Capital und der Kennzahl Liquidität 3. Grades

Normalerweise wäre es natürlich noch ganz toll, wenn wir hier noch etwas über das Net Working Capital und die Liquidität 3. Grades schreiben könnten. Da jedoch das im Nachfolgenden erfasste Buch aus dem Jahr 1928 stammt, werden wir dies wohl nicht tun können. Sowohl die Berechnung der Liquidität 3. Grades, als auch die Ermittlung des Net Working Capitals sind erst später entwickelt worden. Das soll uns aber nicht davon abhalten, die hiernach beschriebenen Vorgänge weiter zu erfassen. Geplant ist auch eine eigenständige Seite, die sich nur mit diesen beiden Kennzahlen befasst. Eine sehr gute und ausführliche Darstellung von der Liquidität 3. Grades, wie auch vom Net Working Capital ist unter dem oben angegebenen Link auf der Seite Waldlandwelt zu finden. In den nachfolgenden Ausführungen des Buches wird es weiter um die Frage von Angebot und Nachfrage, sowie um den Wert von Gütern und dessen angemessenen Preis gehen.

1 Was ist theoretische Volkswirtschaftslehre?

Schon das Interesse der großen Denker des Altertums wurde durch Fragen gefesselt, welche mit der Wirtschaft in ihrem gesellschaftlichen Gefüge zusammenhängen. Platon und Aristoteles, beide werden durch das Bestreben , Ausgangspunkte für eine richtige Regelung des Gesellschaftslebens zu finden, dazu getrieben, sich mit ihnen zu befassen. Derselbe Gesichtspunkt, das Seinsollende zu ergründen, zwingt auch die Denker des christlichen Mittelalters sich mit dem Wirtschaftsleben in seinen gesellschaftlichen Beziehungen zu befassen.

Durch die Entdeckung Amerikas, sowie durch die Finanznot, welche die fortwährenden Kriege und die wachsenden Bedürfnisse der anbrechenden modernen Staatenbildung heraufbeschworen, wird das Interesse für Wirtschaftsfragen stark erhöht. Die materiellen Grundlagen des menschlichen Lebens, denen gegenüber das christliche Mittelalter, in seiner auf das Überirdische gerichteten Denkungsart, stets eine gewisse Geringschätzung bewahrte, werden nun in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

Doch auch der Merkantilismus, wie später von ihrer Hochschätzung für den Handel jene Richtung genannt wurde, welche die Entwicklung der Wirtschaftskräfte als eine wichtige Aufgabe des Staates erkannte, konnte zu seinem wissenschaftlichen Ausbau der einschlägigen Fragen gelangen. Wohl verschiebt sich im Merkantilismus der Gesichtspunkt der Betrachtung, indem das Wirtschaftsleben nicht mehr vom Standpunkte der Ethik, sondern von jenem der Politik erörtert wird. Doch über den Gesichtspunkt des Seinsollenden kommt auch der Merkantilismus nicht hinaus.

Als die wichtigsten Vertreter des Merkantilismus seien erwähnt: Bodin, Montchrétien, Mun, Child, Davenant, Petty, Serra, Montanari, Genovesi, in der Praxis Cromwell, und Colbert (nach ihm wir die merkantilistische Politik auch Colbertismus genannt). In den deutschen Staaten traten ähnliche Bestrebungen, nur mehr finanzpolitisch orientiert, in der Kameralwissenschaft zutage. Ihre wichtigsten Vertreter waren Obrecht, Besold, Klock, Seckendorf, Becher, Hornick, später Justi und Sonnenfels.

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Wenn es die Denker des Altertums und es Mittelalters, aber auch die Merkantilisten nicht zu einer wirklichen Volkswirtschaftslehre gebracht haben, so liegt dies eben daran, dass das Forschen nach dem Seinsollen ohne eine tiefere Ergründung der inneren Zusammenhänge nur zu einer Kunstlehre führen kann, die wahre Wissenschaft, die eigentliche Theorie jedoch nur dort beginnt, wo die Dinge den Menschen an sich, in ihrem Wesen und in ihren gegenseitigen Bedingtheiten beschäftigen. Auch die theoretische Volkswirtschaftslehre hat es hiermit zu tun. Sie hat Wesen und Grundzusammenhänge jener Gesellschaftsvorgänge zu ergründen, welche sich aus der Wirtschaft, d. h. daraus ergeben, dass der Mensch durch die unzureichende Menge (Knappheit) der zur Befriedigung seiner Bedürfnisse begehrten Dinge, – Güter genannt, – infolge der Vielheit seiner Bedürfnisse gezwungen ist, dieselben planmäßig zu verwenden und sinngemäß einzuteilen. Somit ist theoretische Volkswirtschaftslehre jene Wissenschaft, welche Wesen, Verlauf und Zusammenhänge der wirtschaftlichen Lebensäußerungen der Gesellschaft zu ergründen sucht.

2 Der Physiokratismus und die natürliche Ordnung

Der große Umschwung, welcher die bisher vom Standpunkte des Seinsollenden betrachteten Fragen der gesellschaftlichen Wirtschaftsvorgänge in ein neues Licht rückte, vollzog sich unter der Einwirkung der Aufklärungsphilosophie, sowie des Naturrechtes. Die Ahnung einer erhabenen Einheit zwischen Natur und Gesellschaft, das Gefühl, die menschliche Harmonie zwischen beiden und das Streben, die menschliche Gesellschaft auf natürliche Grundlage zu erklären, ließen alles, was der Merkantilismus an wissenschaftlichen Kenntnissen zusammengetragen hat, unter einem neuen Gesichtspunkt erscheinen, welcher das Seinsollende auf das innere Wesen der Dinge, auf ihre natürliche Beschaffenheit und auf ihre natürlichen Zusammenhänge zu bauen trachtete. Welche Gesetze beherrschen jene Lebenssphäre des Menschen, sowie jene Lebensäußerungen der Gesellschaft, welche sich aus den leiblichen Bedürfnissen der Menschen ergeben? So lautet die Fragestellung der neuen Richtung, welche François Quesnay (1696-1774) begründete

Physiokratismus (von physis, d. h. Natur) wurde das neue System genannt, welches alsbald eine Reihe von Männern, wie Marquis Victor Riquetti Mirabeau (1715-1789), Pierre Samuel Dupont de Remours (1739-1817), Paul Pierre Mercier de la Rivière (1720-1797), Anne Robert Jacques Turgot (1727-1781), Guillaume François le Trosne (1728-1780), Abbé Nicolas Baudeau (1730-1792) unter dem Banner der rationalistischen Betrachtung des Gesellschaftslebens vereinigte.

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Quesnay, der führende Geist, trachtet die Naturgesetze des Wirtschaftslebens zu erforschen. Die unerschütterliche Überzeugung, dass auch das Wirtschaftsleben seine natürlichen Grundlagen, sein von menschlicher Willkür unabhängigen Grundgesetze haben müsse, paart sich in seiner Auffassung mit dem Vertrauen in die Fähigkeit des menschlichen Geistes, die natürliche Ordnung der Dinge erfassen zu können. Was dem inneren Wesen der Dinge entspricht, wird unter dem Begriff der natürlichen Ordnung zusammengefasst. Aus diesem Begriffe erwächst der neue Gesichtswinkel der Betrachtung, welcher nunmehr auf die Erfassung von Wesen und Verlauf der wirtschaftlichen Vorgänge gerichtet ist.

Eine großangelegte Synthese des gesellschaftlichen Gefüges der Wirtschaft entrollt sich auf dieser Grundlage. Im Mittelpunkte steht der Fruchtbarkeitsbegriff, das eine Band zwischen Natur und Wirtschaft, indem der Boden als Quelle des Güterstromes betrachtet wird, während das andere Band durch die Bedürfnisse der Menschen geknüpft wird, welche die Menschen im Bestreben, ihre leibliche Wohlfahrt zu sichern, mit einander in Berührung bringen, indem sie ihre Dienste gegenseitig austauschen. Hierin wird zugleich die Quelle jenes Kreislaufes erkannt, den Industriellen, Kaufleuten und freien Berufen zuführt, indem ihr Lebensunterhalt durch die Überschüsse der Landwirtschaft bestritten wird.

Im Physiokratismus liegt also der erste Versuch vor uns, das Wirtschaftsleben in seiner Einheitlichkeit als selbständiges Wissensgebiet zu umgrenzen und in seiner Eigenart zu erfassen. Dies aber ist die Aufgabe der theoretischen Volkswirtschaftslehre, und so muss Quesnay, der Begründer des Physiokratismus gleichzeitig als Begründer der theoretischen Nationalökonomie betrachtet werden.

Freilich ist es immer gewagt, die Begründung einer Wissenschaft mit einem einzigen Namen zu verbinden. Tatsächlich ist auch dieses Verdienst für viele Denker beansprucht worden. So wird vor allem A. Smith als Vater der Volkswirtschaftslehre gefeiert, da es erst ihm gelungen ist, der neuen Wissenschaft zu allgemein anerkanntem Bürgerrecht im Gebäude der Wissenschaft zu verschaffen. Auch für Petty (1687), für Cantillon (1736), Marquis Victor de Mirabeau (1756) und andere wurde von einzelnen die Vaterschaft unserer Wissenschaft beansprucht. Wir glauben aber doch Quesnay insofern das Verdienst des Begründers der Volkswirtschaftslehre zuschreiben zu können, als es kaum bestritten werden kann, dass er es als erster zu einer einheitlichen, philosophisch durchdrungenen Auffassung der volkswirtschaftlichen Erscheinung gebracht hat. Es liegt wohl hierin keine Herabsetzung der Leistung Cantillons, welcher Quesnay stark beeinflusst hat, sowie Smithens, welcher Quesnays System auf eine breitere Grundlage stellte und von seiner Einseitigkeit befreite, wenn wir vor Augen halten, dass den Vorläufern in der Entwicklung jeder Wissenschaft ebenso stets ein Teil des Ruhmes gebührt, als auch jenen Denkern, welche das einmal erfasste von den oft unterlaufenen Einseitigkeiten der synthetischen Begründer befreien.

Die Hauptwerke von Quesnay und Turgot sind auch ins Deutsche übertragen und als Band 1 der Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister erschienen. (1. Hälfte, 3. Aufl., Jena 1924, 2. Hälfte daselbst 1922) Eine vorzügliche Darstellung des Physiokratismus enthält Onckens: Geschichte der Nationalökonomie. 3. Aufl. Leipzig 1922, ähnlich Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre. 16. Aufl. Leipzig 1926.

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