. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 30 bis 32

IV Das Problem der Einkommensverteilung

A Die Synthese des Verteilungsvorganges

30 Der Kern des Problems

Die Volkswirtschaft ist ein einheitliches Ganzes, eine Produktions- und Konsumtionseinheit. Freilich nicht im jenem Sinne, in welchem dies der Sozialismus anstrebt. Sie zerfällt in Einzelwirtschaften, welche zwar durch den Markt miteinander sehr innig verbunden sind, die aber doch jede für sich ein Einzeldasein führen. Diese Wirtschaften, die Elemente, aus denen sich die Volkswirtschaft zusammensetzt, sind durch ihre Einseitigkeit gekennzeichnet. Sie könnten ohne eine Ergänzung seitens anderer Wirtschaften in ihrer heutigen Form nicht bestehen. Die Einseitigkeit der Einzelwirtschaften zwingt zwingt dieselben, sowohl als Produzenten, als auch in ihrer Eigenschaft als Konsumenten ineinander Anlehnung zu suchen. Als Produzenten sind sie bei der Beschaffung von Arbeitskraft, Material, Kapitalien usw. auf äußere Hilfe angewiesen, und als Konsumenten zwingt sie ihre Einseitigkeit, ebenfalls die Produkte anderer Wirtschaften in Anspruch zu nehmen.

Hier liegt der Schlüssel jenes Problems, welches als das Problem der Einkommensverteilung bekannt ist. Ein vielseitiges Zusammenwirkten von Personen und Produktionsmitteln lässt jene Gütermasse entstehen, welche als Volkseinkommen den Mitgliedern der Volkswirtschaft zur Verfügung steht. An diesem Ergebnisse der Volkswirtschaft müssen sich die unselbständigen Einzelwirtschaften in irgendeiner Weise teilen. Nach welchen Gesetzen diese Verteilung vor sich geht, welcher Anteil den einzelnen sozialen Gruppen hierbei zufällt, dies ist der Kern der Einkommensverteilung.

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31 Der physiokratische Grundgedanken in der Verteilungslehre

Erkannt wurde dieses Problem von den Physiokraten. Indem sie nur die Landwirtschaft für wirklich produktiv hielte, mussten sie die Frage aufwerfen: Wodurch wird es den nichtproduktiven Klassen, den Kaufleuten, Handwerkern, Beamten usw., möglich, ihren Lebensunterhalt zu sichern? Die Antwort konnte nur lauten: Indem sie ihre nützlichen - jedoch nicht unmittelbar produktiven - Dienste den Landwirten zur Verfügung stellen. Hierin lag die Erkenntnis, dass in der Volkswirtschaft ein Kreislauf der Güter stattfindet, welcher automatisch auf Grund der Arbeitsverteilung vor sich geht. Jene Gesellschaftsklasse, welche die materielle Grundlage für die übrigen Klassen beschafft, ist die Klasse der Landwirte. Nur sie erzielten im physiokratischen Sinne wirklich einen Reingewinn - produit net - und aus diesem lebt die ganze Gesellschaft. Indem die Landwirte Arbeiter dingen, die Produkte der Gewerbetreibenden kaufen und die Dienste der freien Berufe bezahlen sowie die Steuern tragen, wird jener Teil ihres Reingewinnes, welchen sie nicht unmittelbar verbrauchen, den nicht produzierenden Klassen - classes steriles - zur Verfügung gestellt. Die Verteilung vollzieht sich also automatisch im Wege des Güterverkehrs.

Diese Grundanschauung über das Wesen des Verteilungsvorganges verwerten die Physiokraten für die Beantwortung jener Frage, in welcher Weise sich das Nationalprodukt unter den einzelnen Klassen verteilt. Der Grundbesitzer, welcher über den Reinertrag der Produktion verfügt, sowie auch der Kapitalist, welcher für sein Kapital Arbeit kauft, zahlen dem Arbeiter nur so viel, als für seinen Unterhalt nötig ist. Der landwirtschaftliche wie auch der gewerbliche Arbeiter erhält also bloß so viel, als zur Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit nötig ist, während der nach Abzug der Arbeitskosten verbleibende Rest des Überschusses dem Bodenbesitzer und dem Kapitalisten zugute kommt.

Dieser Gedanke, dass ein Teil der Gesellschaft den übrige Teil derselben ernährt, verschwindet auch bei den Klassikern nicht, aber er verliert durch die Erweiterung des Produktionsbegriffes bei ihnen an Bedeutung. Zum neuen Leben erwacht er bei dem wissenschaftlichen Sozialismus. Wie die Physiokraten ihre Fruchtbarkeitslehre, so bauen auch die Sozialisten ihre Wertlehre auf einen einseitigen Gedanken. Es ist dies die Arbeitswerttheorie, welche in ihrer Anwendung auf den Verteilungsvorgang die Quelle jeder Güterversorgung in der menschlichen Arbeit sucht. Es ist sonach die Arbeiterklasse, welche die Gesellschaft erhält und jede Beteiligung mit Gütern, welche nicht auf Grund von geleisteter Arbeit erfolgt, erscheint hiernach als eine Ausbeitung der Arbeiter. So spinnt die Ausbeutungstheorie den physiokratischen Grundgedanken auf einer neuen Grundlage weiter, nur mit dem Unterschiede, dass der Standpunkt von Recht und Unrecht in die Betrachtung verflochten wird. Der Grundgedanke, dass eine Klasse die übrigen erhaltet, wird so zu dem schwersten Vorwurf gegen die bestehende Wirtschaftsordnung umgeformt.

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Schon in der Verteilungslehre Ricardos schimmert ein Gegensatz zwischen dem Interesse der Grundbesitzer und der übrigen Klassen durch. Die Grundbesitzer erscheinen als jene Klasse, welche das Ergebnis der infolge des Bevölkerungswachstums entstehenden Steigerung des Lebensmittelpreise in Form einer zunehmenden Grundrente in den Schoß fällt, während die Kapitalisten und Unternehmer infolge der Ausgleichung der Profitrate, die Arbeiter hingegen infolge der Beschränkung des Lohnes auf das Existenzminimum das Nachsehen haben. Henry George änderte die Ansicht dahin ab, die Grundrente allein sei es, welche die Ergebnisse des Fortschrittes an sich reißt. Ähnliche Gedanken vertreten Oppenheimer und Loria.

Während aber Ricardo diesen Vorgang mit philosophischer Ruhe registriert, wird er schon bei Sismondi mit sittlicher Entrüstung behandelt. Hoffmann erklärt klar, dass dieser Zustand mit dem Privateigentum eng verbunden ist, und Robertus, Marx und Engels verhelfen dem Crescendo dieser Stimme zu mächtigstem Fortissimo.

32 Das Kostenprinzip als Grundlage der Einkommensverteilung

Die Klassiker erweitern den Produktivitätsgedanken durch Koordinierung von Natur, Arbeit und Kapital als Produktionsfaktoren. Hierdurch trat der Gedanke, eine Klasse ernähre die übrigen, natürlich in den Hintergrund, obzwar wir ihn noch bei J. St. Mill finden. An seine Stelle tritt das die klassische Lehre beherrschende Prinzip der Produktionskosten. Es berührt sich mit der physiokratischen Lehre, wonach die classes steriles bloß ihre Kosten rückvergütet erhalten, nur wird es infolge des geänderten Produktivitätsbegriffes umgeformt. Es wird hierdurch zum Hauptprinzipe der Verteilung.

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Die Klassiker arbeiten zunächst den Gedanken heraus, dass nicht der Landwirt, sondern der Kapitalist im Mittelpunkte der Verteilung steht (Erst Say erkennt, dass nicht der Kapitalist, sondern der Unternehmer die Produktion organisiert.). Unter seiner Leitung werden die Güter erzeugt, und er hat die Produktionskosten für die Gesellschaft auszulegen. Er kann jedem Produktionsfaktor aus dem Ertrage der Produktion nur so viel zuteilen, als jeder Faktor für ihn Wert ist, also was Land, Kapital oder Arbeit tatsächlich produzieren. Er erhält ja im Preise bloß seine Kosten rückvergütet. Da der Preis nichts als Kostenelemente enthalten kann, so kann der Unternehmer dem einzelnen Produktionsfaktoren auch nicht mehr für ihr Leistung zahlen, als sie für die Gesellschaft leisten. Der Unternehmer ist also infolge des Preismechanismus der Vollzieher der gesellschaftlichen Wertschätzung, bezüglich der Leistung der einzelnen Produktionsfaktoren. So entstehen und werden in ihrer Größe begrenzt: der Arbeitslohn und der Kapitalzins, während bei den nicht beliebig vermehrbaren Gütern infolge des Gesetzes der höchsten Kosten die Grundrente entsteht, welche aber, da sie kein preisbildendes Element ist, bei den an der Grenze der Produktion stehenden Produzenten, also bei jenen Landwirten fehlt, welche bei gegebenen Preisen eben noch produzieren können. So wird durch die klassische Lehre die Lösung des Verteilungsproblems zur einfachen Preisanalyse, zu einer Auflösung des Preises in seine Wertbestandteile, welche gleichzeitig, von der anderen Seite betrachtet, die einzelnen Einkommenstypen und ihre Höhe darstellen.