. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 36 bis 38

36 Machtmomente und Verteilungslehre

Ist einmal die Einkommensverteilung als Preisvorgang verstanden, so liegt ein zweiter Gedanke nahe. Es ist die Berücksichtigung der Machteinflüsse und des Klassenkampfes auf die Einkommensverteilung. Sie tritt uns schon bei Rodbertus und noch entschiedener bei Marx entgegen und zwar von Anfang an in Verbindung mit dem Preisbildungsvorgange. Aber der beobachtete Preisvorgang wird - der Wertlehre des Sozialismus entsprechend - einseitig auf die Arbeitswertlehre zurückgeführt und die ganze Verteilungslehre dreht sich so um die Entstehung des Mehrwertes und wird zur Ausbeutungstheorie.

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In ihrer Grundlage auf den Kampf zwischen Kapital und Arbeit eingestellt, behält die Ausbeutungstheorie diesen Zug in ihren verschiedenen Varianten bei. Vor allem ist es Loria, der sie auf theoretischer und historisch-soziologischer Basis zu verstehen sucht. Der allgemeinen Preistheorie hat sie Tugan-Baranowsky näher gebracht. Auf der Grundlage der subjektiven Werttheorie stehend, liegt der Angelpunkt seiner Auffassung in der Betonung jenes Gegensatzes, welcher zwischen dem Markte der Genussgüter einerseits und jenem der Produktionsgüter andererseits besteht. Während am Genussgütermarkte sich Individuen gegenüberstehen, meint er, wird der Preiskampf auf dem Markte der Produktionsfaktoren durch als Ganze zu begreifende soziale Klassen ausgefochten, und es tritt hierdurch das Machtmoment, welches den einzelnen sozialen Klassen als solchen zukommt, als einer der Hauptfaktoren der Verteilung in den Vordergrund. Eben deshalb meint Tugan-Baranowsky, die individualistische Betrachtungsweise, also die einfache Anwendung der Gesetze der Preisbildung auf den Tausch der Produktionsmittel sei verfehlt, und es dürfe nicht einfach nach dem Produkte einzelner Personen, nämlich nach jenem des Grenzarbeiters oder des Grenzkapitalisten gefragt werden. Es soll hierdurch der Einfluss der Produktivität auf das Einkommen der Besitzer der verschiedenen Produktionsfaktoren nicht geleugnet, sondern bloß hervorgehoben werden, dass die Machtverhältnisse der einzelnen sozialen Klassen auch in Abänderung dieses Faktors die Tauschbedingungen der Produktionsfaktoren beeinflussen.

Zwar auf eine andere Wertlehre, doch bewusst auf die Preistheorie und auf die Machtverhältnisse ist die Verteilungslehre Oppenheimers gegründet. Der Großgrundbesitz, die Bodensperre ist seiner Auffassung gemäß der Angelpunkt der Verteilung. Es entstehen hieraus Klassenmonopole und Tauschmonopole, welche den Verteilungsvorgang auf dem Wege der Preisbildung beherrschen.

Wenn auch alle diese sozialistischen Verteilungstheorien den Preisvorgang mit einer ziemlichen Einseitigkeit und auf das Ausbeutungsmoment eingestellt betrachten, so haben sie doch ein wichtiges Moment des Verteilungsvorganges herausgearbeitet, nämlich die Tatsache, dass Machtmomente und soziale Klassenverhältnisse den Verteilungsvorgang entscheidend beeinflussen. Die Einkommensverteilung ist gewiss ein Kampf der Klassen um eine je höhere Beteiligung mit Gütern. Ferner hat die Ausbeutungstheorie auch von Anfang an richtig erkannt, dass dieser Kampf ein Preiskampf ist, der sich innerhalb der Preisgesetze vollzieht. Hier liegt auch ihr Berührungspunkt mit den oben besprochenen Ergebnissen der bürgerlichen Nationalökonomie. Je näher dieser der Auffassung der Einkommensverteilung als Preisvorgang kommt, desto mehr wir sie auch gezwungen, den Einfluss des Machtmomentes anzuerkennen.

Schon bei Böhm-Bawerk ist dies klar bemerkbar. Wenn auch durch die Begründung der Höherschätzung von Gegenwartsgütern die Spitze der Ausbeutungstheorie abgebrochen wird, so bleibt der Einfluss des Machtmomentes doch bestehen. Ähnlich bei Stolzmann, den seine Betrachtung der Volkswirtschaft als soziale Kategorie auf diese Geleise führen musste. Auch die Kathedersozialisten, sodann Lexis, Diehl und Wieser beobachten in wachsenden Maße den Einfluss der Machtverhältnisse auf den Verteilungsvorgang und bei Hobson tritt er ebenfalls durch seine Lehre vom erzwungenen Gewinn (forced gain) stark in den Vordergrund. J. Wolf spricht geradezu von einem Beuteeinkommen, wo Machtverhältnisse mitwirken. Von den jüngeren Schriftstellern betont besonders H. Honegger den Einfluss des Machtmoments.

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Ein vollkommene Einarbeitung des Einflusses der Machtmomente in die Preislehre ist jedoch bisher kaum gelungen. Wie wir sahen, meint Tugan-Baranowsky, der kollektive, also zwischen sozialen Klassen vor sich gehende Tausch, habe andere Gesetze, als der individualistische Tausch. Auch Truchy ist derselben Meinung. Und doch liegt der Gedanke sehr nahe, dass sich die allgemeine Preisgesetze auch auf den kollektiven Tausch anwenden lassen. Man muss nur mit Amonns Bemerkung ernst machen, die Datenänderungen auf dem Markte der Produktivgüter gegenüber den Daten des Genussgütermarktes zu analysieren. Es ergibt sich hieraus eine ungezwungene Einordnung der Machtverhältnisse in die Wirkung der allgemeinen Preisgesetze. Und hiermit ist vieles gewonnen. Denn jene Verteilungslehre, welche die Machtverhältnisse nicht berücksichtigt, bewegt sich im luftleeren Raum. Die außerwirtschaftlichen sozialen Momente der Einkommensverteilung werden auch von Fetter, Cannan und Pigou aber auch von vielen deutschen Autoren berücksichtigt.

Monographien über die Einkommensverteilung im allgemeinen sind in der deutschen Literatur spärlich. Petrazycki: Die Lehre vom Einkommen 1895, sowie Kleinwächter: Das Einkommen und seine Verteilung 1896, ziemlich veraltet. - Über den heutigen Stand der Wissenschaft unterrichten auf diesem Gebiete: Schumpeter: Das Grundprinzip der Verteilungslehre im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Band 42, 1916. - Amonn: Grundzüge der Volkswohlstandslehre, I. Teil, Jena 1926. - Cassel: Theoretische Sozialökonomie, 3. Auflage, Leipzig 1923. - Sehr reich an Monographien ist auf diesem Gebiete die amerikanische Literatur. So: Carver: The distribution of wealth, New York 1911. - Commons: Distribution of wealth. New York 1906 usw. - Vergleiche auch Hobson: Distribution of wealth. London 1907.

Über die Theorie der Grenzproduktivität handelt ausführlich Landauer: Grundprobleme der funktionellen Verteilung. Jena 1923. - Clark: The distribution of wealth. New York 1902. - Aftalion: Les trois notions de la productivité et les revenues. Revue d’économie politique. 25. Band 1911.

Das Machtmoment in der Einkommensverteilung tritt stark in den Vordergrund bei Tugan-Baranowsky: Soziale Theorie der Verteilung. 1913. - Auch bei Loxia: Theorie der reinen Wirtschaft. Untersuchung der Gesetze des Einkommens. München und Leipzig 1925. - Natürlich am schärfsten in der Ausbeutungstheorie von Marx: Das Kapital. III. Band, 6. Auflage Hamburg 1922.

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B Die Grundrente

37 Die Differentialrente

Der Fruchtbarkeitsbegriff der Physiokraten führte zu einer überaus einfachen Grundrentenlehre. Die Grundrente zeigt sich ihnen als das einzige Reineinkommen, als wirklicher Überschuss des Ertrages über die Kosten, während alle übrigen Einkommen nur eine Vergütung der zur Hervorbringung der Leistung nötigen Kosten gleichkommen.

Doch haben schon die Physiokraten ein Auge dafür, dass der Einrichtung des Privateigentums, zwar nicht bei der Entstehung, doch bei der Zuteilung der Grundrente eine Rolle zukommt. Da nämlich der Boden nur in beschränkter Menge vorhanden ist und sich im Privatbesitze befindet, können die Grundbesitzer die Arbeiter, welche den Boden bebauen, dazu zwingen, den erwirtschafteten Überschuss ihnen zu überlassen.

Die Auffassung von Smith steht jener der Physiokraten sehr nahe. Nur ist sie schwankender, weil sie sich nicht mehr auf den eindeutigen Produktivitätsbegriff der Physiokraten stützt.

Eine scharfe Wendung in der Betrachtung der Grundrente brachte die Lehre vom abnehmenden Bodenertrag sowie das Malthussche Bevölkerungsgesetz. Nicht mehr die Freigiebigkeit der Natur, sondern die Kargheit derselben wird durch sie in den Vordergrund gerückt, welche mit zunehmender Bevölkerung ein Steigen der Preise der Bodenprodukte nach sich zieht. Mit zunehmender Bevölkerung muss Boden minderer Qualität für die Versorgung herangezogen und der schon bebaute Boden intensiver bearbeitet werden, was laut dem Gesetze vom abnehmenden Ertrag nur mit einer Erhöhung der Kosten möglich ist. Da jedoch die Kosten des mit dem höchsten Kostenaufwande bewirtschafteten Bodens den Preis der Bodenprodukte bestimmen, der Preis jedoch am Markte für alle gleich ist, genießen alle Landwirte, welche nicht an der Grenze der Produktion stehen, ein Einkommen, welches aus dem Unterschiede zwischen ihren Produktionskosten und jenen des Grenzproduzenten fließt. Die Grundrente erscheint sonach nicht mehr als Reineinkommen der Volkswirtschaft, sondern als eine Folge der Preisbildung, also als das Einkommen jener Landwirte, die unter günstigeren Verhältnissen produzieren, als die Landwirte, welche an der Grenze der Produktion stehen. Sie erscheint sonach als reine Differentialrente.

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Hiernach ist die Grundrente auch kein Kostenelement, sondern ein aus der Bestimmung der Preise durch die Grenzkosten entstehender Überschuss. Der Getreidepreis ist nicht deshalb hoch, weil eine Grundrente gezahlt wird, sondern die Grundrente wird gezahlt, weil der Getreidepreis hoch ist.

Dies ist der Inhalt der Ricardoschen Grundrententheorie, welche somit den Gedanken verdrängte, dass die Grundrente eine Bereicherung der Gesellschaft sei. Als Differentialrente nimmt die Grundrente das Wesen einer reinen Verkehrserscheinung an und erscheint als jener Vorteil, welchen die unter günstigen Bedingungen arbeitenden Landwirte aus der Preisbildung ziehen.

Der Urheber dieser Theorie von der Differentialrente war James Anderson. Obzwar schon in einem im Jahre 1775 geschriebenen Werke enthalten, welches jedoch erst 1779 veröffentlicht wurde, ist die Grundrentenlehre Andersons zuerst in einer Abhandlung im Jahre 1777, als ein Jahr nach dem großen Werke von Smith publiziert worden. Im Jahre 1815 wurde sie von Malthus und West entwickelt und Ricardo hat sie in seinen Principles, 1816, eingehend behandelt. Seitdem wird sie zumeist als die Grundrentenlehre von Ricardo behandelt. Dies wird dadurch erklärlich, dass sie sich so fest in seine Wert- und Preislehre einfügt und zu einem wichtigen Bestandteil derselben wurde.

Durch die Theorie der Differentialrente wird die Erscheinung der absoluten Rente, also des Gedankens, dass jeder Boden Rente abwirft, beiseite geschoben. Die prinzipielle Möglichkeit einer absoluten Grundrente, also einer Rente, welche auch an der Grenze der Produktion erscheint, fällt hierdurch zwar nicht weg, doch waren Ricardo und J. St. Mill der Ansicht, der Fall der absoluten Grundrente sei vom praktischen Standpunkte aus irrelevant, da stets die Möglichkeit vorhanden ist, bei einer Preissteigerung der Bodenprodukte neuen Boden zu bebauen oder schon bebauten Boden intensiver zu bewirtschaften.

Die Entstehung der Differentialrente kann vor allem als Folge der größeren Fruchtbarkeit besserer Böden auftreten, (Qualitätsrente); bei Ausdehnung der Produktion tritt die Intensitätsrente hinzu als Ergebnis der steigenden Kosten. Thünen, der die Theorie von der Differentialrente selbständig behandelt, fügte noch die Rente der Lage hinzu, welche aus Vorzügen vorteilhaft gelegener Grundstücke entsteht.

In der erwachenden amerikanischen Theorie, wurde Ricardos Lehre insbesondere durch Carey, scharf angegriffen. Sie steht mit seinem System, wonach in der Volkswirtschaft alles harmonisch verläuft, ebenso im Gegensatz wie mit dem ähnlichen System des Franzosen Bastiat. Beide wollen beweisen, dass die Arbeit mit zunehmender Kultur fruchtbarer wird, die Produktionskosten sonach nicht steigen, sondern fallen und es deshalb keine Differentialrente geben könne. Nicht auf die Erhöhung der Produktionskosten des Getreides, sondern auch die zunehmende Fruchtbarkeit sei die Grundrente zurückzuführen. Auch glaubte Carey, Ricardo dadurch widerlegen zu können, dass er behauptete, die Urbarmachung des Bodens verfolge die entgegengesetzte Richtung, als Ricardo behauptete. Doch liegt hierin überhaupt keine Widerlegung der Differentialrente, denn solange der Preis der Bodenprodukte für alle Produzenten gleich ist und Unterschiede in der Bodenqualität und Bebauungsintensität bestehen, tritt die Differentialrente auf. Auch die Einwände von Knies trafen nicht den Kern der Ricardoschen Grundrententheorie.

38 Die Verallgemeinerung des Rentenprinzips

Der Gedanke, dass die Unterschiede in den Produktionskosten infolge der Einheitlichkeit des Preises in den Verteilungsvorgang eingreifen, wurde bald weiter vertieft. Man musste bald wahrnehmen, dass die Erzeugungskosten auch bei den gewerblichen Betrieben erhebliche Unterschiede aufweisen. Wird dies einmal erkannt, so ist der Gedanke, welchen Schäffle und Mangoldt aussprachen, nicht mehr zu unterdrücken, dass nämlich nicht nur der Grund und Boden, sondern auch die industriellen Betriebe Differentialrenten abwerfen können.

Auch Marshall, sonst ein Anhänger der Ricardoschen Grundrententheorie muss dies erkennen, nur sucht er den Unterschied zwischen der Grundrente und der industriellen Rente dadurch hervorzukehren, dass er meint, letztere sei nur vorübergehender Natur. Er nennt sie auch deshalb nur Quasirente, da sie, sobald sich der Wettbewerb dieser Verbesserungen bemächtigt und sie verallgemeinert, seiner Ansicht nach verschwinden muss. Doch an eine wirkliche Ausgleichung der Kosten ist wohl nie zu denken.

Eine Weiterführung des Grundgedankens der Differentialrente hat Marshall gegeben, indem er ihn auf den Markt der Konsumgüter anwendet. Hier ist es die Verschiedenheit der Zahlungsfähigkeit der Käufer, welche zur Rentenbildung führt, indem bei Einheitlichkeit des Preises sich für jene Käufer ein rentenartiger Gewinn ergibt, welche infolge größerer Zahlungsfähigkeit mehr für die Ware zu geben geneigt wären. Diesen Gewinn nannte Marshall die Konsumentenrente. Edgeworth und Pigou haben diese Erscheinung dann eingehender untersucht.

Noch weiter geht die amerikanische Literatur. Vor allem Clark, dann Commons und Carver versuchen das Gesetz vom abnehmenden Ertrag seines ökonomisch-technischen Wesens zu entkleiden, indem sie es auf die Ebene der Wertbildung und der Rentabilitätsrechnung zu bauen trachten. So wird dieses Gesetz mit dem Gesetze vom abnehmenden Grenznutzen verbunden, woraus dann eine Verallgemeinerung des Gesetzes vom abnehmenden Ertrage entsteht. Da die Abnahme des Ertrages hiernach eine Werterscheinung ist und sich aus dem Sinken des Grenznutzens mit vermehrter Produktionsmenge ergibt, so muss es nicht nur für den Grund und Boden, sondern für alle Produktionsfaktoren gelten. (Eine eingehenden Auseinandersetzung mit dieser Richtung gibt Diehl im II. Bande seiner Theoretischen Nationalökonomie, Seiten 85-120) Fetter meint, das Gesetz vom abnehmenden Ertrage sei überhaupt nur ein Spezialfall des Gesetzes vom abnehmenden Grenznutzen und Commons stellt fest, dass die Wichtigkeit des Gesetzes vom abnehmenden Ertrag nicht in der Produktenmenge unter bestimmten Produktionsverhältnissen liege, sondern in der Abnahme des Nutzens mit der Vermehrung der Produktenmenge. Hierdurch wird das Rentenprinzip in der amerikanischen Literatur weiter verallgemeinert, und zu einem allgemeinen Verteilungsprinzip ausgebaut. In der Parallele zur Konsumentenrente wird das aus dem Unterschiede der Produktionskosten sich zu Gunsten der mit niedrigeren Kosten erzeugenden Produzenten ergebende Mehreinkommen zumeist als Produzentenrente (producer’s surplus) bezeichnet.

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Die allgemeine Fassung des Rentenbegriffes führte auch zum Begriff der Monopolrente. Die Beobachtung der großen Monopole ihrer Heimat ließ die amerikanischen Gelehrten erkennen, dass die Monopolstellung eine solche Einschränkung der Produktion ermöglicht, welche im Monopolpreise zu einem Mehreinkommen verhilft, welches ganz das Wesen einer Rente hat.