. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 39 bis 42

39 Die absolute Grundrente

Während die Verallgemeinerung des Rentenprinzips den Gedanken der Differentialrente weiterbaut, führt insbesondere die sozialistische Einstellung des Problems zurück zu dem Gedanken der absoluten Rente, also zur Auffassung, dass die Grundrente eine Folge des Privateigentums ist und sonach bloß als Folgeerscheinung der Unterschiede in den Produktionskosten auftritt.

So sucht vor allem Robertus die Quelle der Grundrente einerseits in der Fruchtbarkeit des Bodens, andererseits im Grundeigentum. Das Privateigentum setzt den Grundbesitzer in den Stand, den Arbeitern nur jenen Lohn zu gewähren, welcher zu ihrem Unterhalte nötig ist; die Fruchtbarkeit des Bodens führt aber zu einem viel höheren Ertrag. Dieser fließt den Grundbesitzern und Kapitalisten zu. Weshalb erhält aber, fragt sich Robertus, der Grundbesitzer, welcher ja ebenfalls Kapital bei der Produktion verwendet, mehr als dem aufgewendeten Kapitale entspricht? Die Antwort findet er darin, dass die Landwirtschaft den Materialwert, welchen sie aus dem Grund und Boden, also von der Natur bezieht, nicht zu vergüten braucht. Während also der Kapitalist einen Kapitalaufwand machen muss, indem die Werkzeuge und Materialien vorgetane Arbeit enthalten, steht es beim Grundbesitzer anders. Auch er verwendet Kapital, aber nur für die Werkzeuge und Materialien, während der Boden seine Kräfte unentgeltlich zur Verfügung stellt. Der auf ihn entfallende Teil des Überschusses ist die Grundrente. Auch für Marx ist die Grundrente Mehrwert, d. h. unbezahlte Arbeit.

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Gelangen so die Sozialisten auf Grund der Arbeitswerttheorie, sowie der Ausbeutungstheorie dazu, die Grundrente als absolute Rente und zwar als Besitzrente zu betrachten, so führt auch die Entwicklung der bürgerlichen Nationalökonomie bald in diese Bahn. Es wird immer klarer erkannt, dass die Sozialisten den Einfluss des Privateigentums auf die Einkommensverteilung mit Recht betonen, und dass die naturrechtliche Betrachtungsweise der volkswirtschaftlichen Vorgänge bezüglich der Einkommensverteilung am meisten versagt. Hauptsächlich A. Wagners Verdienst muss diesbezüglich hervorgehoben werden, aber auch die historische Schule hat viel zu dieser Erkenntnis beigetragen. So tritt die Rolle jenes Umstandes immer schärfer hervor, dass auch der Grund und Boden in beschränkter Menge vorhanden ist und dass dieser Umstand in Verbindung mit dem Privateigentum dazu genügt, um auch abgesehen von der Verschiedenheit der Bodenqualitäten eine Grundrente entstehen zu lassen, welche sonach als Besitzrente erscheint. Schumpeter, Cassel, und Amonn stimmen darin ziemlich überein, dass die Seltenheit des Bodens die Grundrente entstehen lässt, und so neben der Differentialrente, deren Erscheinen mit dieser Auffassung keineswegs im Gegensatze steht, es auch eine absolute Grundrente gibt. Die Grundrente ist eben der Preis für die Überlassung von Bodennutzungen, wobei, wie Schumpeter und Wicksteed betonen, nichts Besonderes darin liegt, dass die Nutzungen von Böden besserer Qualität einen höheren Preis erzielen.

Obzwar noch Marshall sich anstrengte, die Ricardosche Grundrententheorie zu retten, hat sie doch auch in England, z. B. in Wicksteed entschiedene Gegner. Natürlich wird hierdurch das Wesen der Differentialrente als Preiserscheinung nicht berührt, nur wird das Wesen der Grundrente als aus der Seltenheit des Bodens fließende Besitzrente gefasst. In Deutschland hält Diehl an der Ricardoschen Rententheorie fest.

Über die Grundrente vergleiche Thünen: Der isolierte Staat. Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister, Band 13, 2. Auflage Jena 1921. - Ricardo: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre. In derselben Sammlung 5. Band, 3. Auflage Jena 1923. - Robbertus: Soziale Briefe an von Kirchmann. Berlin 1851. - Schäffle: Die nationalökonomische Theorie der ausschließenden Absatzverhältnisse. Tübingen 1867. - Zwiedineck-Südenhorst: Kritische Beiträge zur Grundrentenlehre. Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 67. - Oppenheimer: Ricardos Grundrententheorie und die Marxsche Lehre von der absoluten Grundrente. Archiv für Geschichte des Sozialismus. 1911.

Zur Geschichte der Lehre: Berens: Versuch einer kritischen Dogmengeschichte der Grundrente. Leipzig 1868. - Inama-Sternegg: Theorie des Grundbesitzes und der Grundrente in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Schmoller Festgabe, Band I. Leipzig 1908.

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C Der Kapitalzins und der Unternehmergewinn

40 Das Problem

In der ersten Epoche des Kapitalismus, in welcher die klassische Lehre entstand, trat die führende rolle des Unternehmers, der mit Kapital ausgerüstet an die Produktion herantritt, so stark in den Vordergrund, dass der Kapitalist als selbständiges Glied der Volkswirtschaft neben ihm gar nicht bemerkt wird. Das ganze Interesse wendet sich der Rolle des Unternehmers in der Produktion zu. Er ist es, der das Kapital in die Produktion einführt und er erscheint auch als Anwärter jenes Gewinnes, welchen die Verwendung des Kapitals erzielt, dies um so mehr, als der Zins als Bestandteil der Preise erkannt wird, welche der Unternehmer für seine Produkte erhält. So gelangt die klassische Lehre zum Begriffe des Kapitalgewinnes (des Profites).

Zweifelos ist hiermit das Zinsproblem erfasst. Jedoch nur in seiner unmittelbaren Beziehung zur Produktion. Es handelt sich hier nämlich um den ursprünglichen Zins, um jenen Ertragszuwachs, welcher in der Produktion der Kapitalverwendung zuzuschreiben ist und welcher es dem Unternehmer ermöglicht, für die Kapitalleihe einen Preis zu bezahlen. Dieser ursprüngliche Zins, welcher sich im Gewinne der Unternehmer vorfindet, verbleibt jedoch nur insofern dem Unternehmer, als er mit Eigenkapital arbeitet. Sobald er Leihkapital verwendet, hat er für dieses dem Kapitalisten eine Vergütung zu zahlen. Erst diese Vergütung, also nur ein Teil des Kapitalgewinnes ist der wirkliche Leihzins.

Hiermit spaltet sich jedoch das ursprüngliche einheitliche Problem des Gewinnes in zwei Teile. Es entsteht einerseits das Problem des Leihzinses, andererseits jenes des Unternehmergewinnes. Beide sind Probleme der Kapitalverwendung; während jedoch der Leihzins mit dem Wesen der Kreditwirtschaft zusammenhängt, wurzelt das Problem des Unternehmergewinnes mehr in der Organisation der kapitalistischen Produktion sowie in der kapitalistischen Marktorganisation.

41 Der Kapitalgewinn

Die klassische Lehre sieht in der Einkommensverteilung einen Zerlegung des Preises in seine Bestandteile. Es ist dies die folgerichtige Durchführung des Gedankens, dass die Produktionskosten den Preis bestimmen. Richtig wird gefolgert, der Kapitalgewinn müsse im Preise enthalten sein.

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„Hohe oder niedrige Löhne und Gewinne sind die Ursachen hoher oder niedriger Preise“, meint Smith. Weiter kommt Ricardo. Auch er meint, dass der Gewinn im Preise enthalten sein muss; da er aber für den Arbeitslohn ein eigenes Gesetz aufstellt, wonach derselbe auf die Dauer mit dem Lebensminimum der Arbeiter zusammenfallen muss, so wird hierdurch für ihn schon die Höhe des Gewinns bestimmt. Was vom Preise nach Abzug der Lohnkosten bei den beliebig vermehrbaren Gütern übrig bleibt, ist der Gewinn. (Bei den Bodenprodukten ist natürlich im Preise auch eine Rente enthalten.) So wird nach Ricardo die Höhe des Gewinns indirekt durch die Löhne bestimmt, so dass der Gewinn ein Residualeinkommen darstellt. Auch Stuart Mill schießt sich dieser Auffassung an.

Wie sehr diese Auffassungsweise dem Grundgedanken der Klassiker entspricht, geht hauptsächlich daraus hervor, dass Smith wie Ricardo stets auf die Behauptung zurückkehren, dass Lohn und Profit sich in entgegengesetzter Richtung bewegen, dass also der Profit desto niedriger ist, je höher die Löhne steigen und umgekehrt. (Mac Culloch machte in dieser Beziehung Einschränkungen für dynamische Zustände der Volkswirtschaft (Steigerung der Produktion)) Da der Preis allein durch die Produktionskosten beherrscht wird, meint Ricardo, dass ein Wachsen des Gewinns ein Sinken des Lohnes zur Folge haben muss und umgekehrt, wogegen mit abnehmender Produktivität der Landwirtschaft immer mehr vom Preise an die Landwirte als Grundrente abzugeben ist, da die Erzeugung der für die Arbeiter nötigen Lebensmittel an der Grenze der Produktion stets mehr Arbeit erfordert, welche im Preise der landwirtschaftlichen Produkte, die zugleich den Löwenanteil der Lebenskosten der Arbeiter ausmachen, zu vergüten ist. Mit der Zunahme der Bevölkerung wird die Lebenshaltung der Arbeiter verteuert, was in Form der Grundrente den unter vorteilhaften Bedingungen produzierenden Landwirten zugute kommt. Die hierdurch verursachte Steigerung der Preise kann also zu keiner Erhöhung des Profits führen, weil die Unternehmer die Preissteigerung mit höheren Nominallöhnen bezahlen müssen, und so hierdurch nichts gewinnen.

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42 Die Ausbeutungstheorie als Profittheorie

Nun lag aber ein weiterer Ausbau dieses Gedankenganges ganz nahe und kündigt sich auch schon bei J. St. Mill an, indem er bemerkt, der Grunde des Profits liege eigentlich darin, dass die Arbeit mehr produziert, als zur Erhaltung der Arbeiterschaft nötig ist. Die Lebensdauer der verschiedenen Verbrauchsgüter sei eine längere als die zu ihrer Erzeugung nötige Arbeit, und hier liege eigentlich der Grund des Profits. Nach solchen Anklängen war nicht mehr viel dazu nötig, um im Kapitalgewinn eine direkte Beraubung der Arbeiter zu erblicken. Die Residualtheorie des Profits wird hierdurch zu einem Gliede der Ausbeutungstheorie. Der Grundgedanke der Klassiker, der Profit sei eine Verkehrserscheinung, also eine Folge der Preisgesetze, wird hierbei vollkommen beibehalten. Nur wird der Unterschied zwischen den Ankaufskosten der Arbeit und den Verkaufskosten der Produkte hervorgekehrt.

Der Kapitalist bezahlt - meint Marx - die Arbeitskraft zu ihrem Werte, d. h. nach jener Arbeitszeit, die nötig ist, um die Arbeitskraft zu erhalten, andererseits verkauft er aber die erzeugten Produkte zum Preise der in ihnen enthaltenen Arbeit. Gleichzeitig tritt aber bei ihm schon der Gedanke hervor, der Profit sei eine Folge der zunehmenden Produktivität, natürlich aber in einer Weise, welche die Produktivität ausschließlich auf der Seite der Arbeit erblickt. Der Arbeiter erhält nach Marx als Lohn bloß jene Kosten, welche für die Erhaltung seiner Arbeitskraft nötig sind, leistet aber für den Kapitalisten viel mehr Arbeit, welche dieser aber nicht vergüten muss, sondern eben als Profit für sich behält. Bei Robbertus tritt der Standpunkt, der Profit sei eine Folge der zunehmenden Produktivität, noch klarer hervor, denn sein Hauptsatz, der Arbeitslohn repräsentiere eine abnehmende Quote des Nationalproduktes, ist geradezu auf die Zunahme der Produktivität gegründet.

Die Erklärung der Klassiker, sowie der Sozialisten stützt sich also darauf, dass der Gewinn im Preise enthalten sein muss. Ist er aber ein Bestandteil der Produktionskosten? Smith, Say und J. St. Mill nehmen dies an, obzwar letzterer schon einen überdurchschnittlichen Profit kennt, welcher zwar im Preise natürlich enthalten ist, jedoch keinen eigentlichen Kostenbestandteil bildet. Torrens will den Gewinn überhaupt nicht als Kostenbestandteil gelten lassen, sonder erblickt in ihm einen Überschuss über die Kosten. Die reine Arbeitswerttheorie, wie sie durch James Mill und Mac Culloch ausgebildet wurde, zählt hinwiederum den Gewinn entschieden zu den Produktionskosten, da er das Entgelt für die vorgetane Arbeit darstellt. Nicht so einfach ist die Sache beim Meister selbst, bei Ricardo zu entscheiden. Wohl enthält der Preis auch seiner Ansicht nach den Gewinn, doch ist dieser nur insofern Kostenelement, als er Ersatz für das aufgewendete Kapital bietet, sonst ist er ein Residuum, welches vom Preis und von der Lohnhöhe abhängt. Ganz entschieden kein Bestandteil der Kosten, sondern „Mehrwert“, also ein die Kosten übersteigender Wert ist der Profit für Marx.

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