. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 46 bis 48

46 Die dynamische Zinstheorie

Neben der Agiotheorie Böhm-Bawerks ist auch ein zweiter Versuch unternommen worden, den Zins als Überschuss im Einklang mit der Zurechnungslehre zu erklären. Er stammt von Schumpeter und beruht auf einem heute ganz in den Vordergrund der volkswirtschaftlichen Betrachtung gerückten Momente, nämlich auf dem Momente der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Entstehung jenes Überschusses, welcher über den Tilgungsbetrag des Kapitals als Zins vergütet werden kann, wird darauf zurückgeführt, dass der wirtschaftliche Fortschritt Wertzuwüchse entstehen lässt, welche in die Wertrechnung noch nicht allgemein eingeführt, noch nicht als Wertbemessungsgrundlage der Kapitalgüter in Betracht gezogen sind. Die Konkurrenz lässt sie mit der Zeit verschwinden, indem sie nach Verallgemeinerung den Produktivgütern zugerechnet werden. So ist der Zins ein dynamischer Einkommenszweig. In der statischen Wirtschaft gibt es keinen Zins.

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Schumpeter meint, der Zins als Überschuss über die Reproduktion des aufgewendeten Kapitals müsse einem wesensverschiedenen Grund von der Entstehung des Lohn- und Renteneinkommens haben. Die Entstehung von Lohn und Rente sei von der Seite des Produktionsfaktors [Arbeit] aus zu erklären, da das, was beim Arbeiter und beim Grundeigentümer sich als reines Einkommen zeigt, beim Unternehmer ohne weiteres als Erzeugungskosten in Erscheinung trete. Anders beim Kapital. Auch das aufgebrauchte Kapital stellt sich im Rahmen der Produktionskosten dar, aber es bedeutet für den Kapitalisten noch kein reines Einkommen. Deshalb sei das Zinseinkommen von der Seite des Produktionsfaktors Kapital aus nicht zu erklären, und man müsse nach einer selbständigen Entstehungsursache des Zinses, und zwar von entgegengesetzter Seite, von der Betrachtung des Zinsphänomens aus suchen. Der Zins muss ein Wertagio sein, also ein Überschuss, welcher sich über den Wert des aufgewendeten Kapitals einstellt. Dauernde Wertüberschüsse, über die Kostenwerte werden aber einerseits durch die Konkurrenz, andererseits aber durch die allgemeinen Wertgesetze, nämlich hauptsächlich durch das Gesetz der Zurechnung des produktiven Beitrages, welches den Wert des Produktionsgutes, also auch jenem des Kapitals seinem jeweiligen Ertrage gleichzustellen strebt, unmöglich gemacht. Soll also ein Überschuss über den Wert des aufgewendeten Kapitals erklärt werden, so kann dies bloß außerhalb jener Voraussetzungen geschehen, welche das Wegschwemmen der Wertüberschüsse durch die Konkurrenz und die Zurechnung der Erträge auf die Produktionsmittel bewirken. Ein solches Prinzip meint Schumpeter in der wirtschaftlichen Entwicklung zu finden. Diese erzeugt durch Umformung der Produktionsprozesse Wertagien, welchen sich die Konkurrenz erst zu bemächtigen suchen muss, um sie wegschwemmen zu können, ebenso, wie es auch Zeit erfordert, die Umwertung der Produktivgüter auf der neuen Ertragsbasis vorzunehmen.

Wenn eine neue Kombination der Produktivgüter Platz greift, die ich z. B. um hundert Geldeinheiten gekauft habe und es hierdurch möglich wird, ein neues höherwertiges Produkt auf den Markt zu bringen, so bleibt mir ein Überschuss in der Hand, denn die Preise der Produktivmittel wurden ja nicht mit Hinblick auf diese ergiebigere Verwendung festgelegt, sondern bloß unter der Berücksichtigung der bisherigen Verwendungsarten. So wird also der Besitz dieser 100 Geldeinheiten für mich ein Mittel, mir einen höhere Summe, 120 oder 150 Geldeinheiten zu verschaffen. Das Wertagio sei also nicht, wie Böhm-Bawerk meint, einfach auf das Zeitmoment zurückzuführen, sondern auf eine Kombination des Zeitmomentes mit dem Momente der Wirtschaftsentwicklung.

47 Die Lostrennung des Unternehmergewinnes vom Kapitalzins

Je näher das Zinsproblem ins Auge gefasst wird, je mehr es sich dem Reinertragsproblem nähert, desto näher kommt die Theorie zu einer Lostrennung des Unternehmergewinnes vom Kapitalzins. Schon Malthus und Mac Culloch versuchen den Gewinn in zwei Teile zu zerlegen, und dasselbe tut Stuart Mill, indem er den Lohn der Enthaltsamkeit, den reinen Zins, von der Risikoprämie scheidet. Wir müssen Wilbrandt beistimmen, wenn er meint, erst die spätere Entwicklung des Kapitalismus legte die endgültige Lostrennung des Unternehmergewinnes vom Zins der Theorie nahe (Siehe die interessante Studie Wilbrandts in der Festgabe für G. Schmoller. I. Band. Leipzig, Duncker & Humblot, 1908). Drei Forscher müssen hier genannt werden, welche diese Arbeit vollbracht haben. Es sind Hermann, Say und F. A. Walker.

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Hermann hat in seinen im Jahre 1832 erschienen „Staatswirtschaftlichen Untersuchungen“ zuerst die Tragweite der Tatsache klar erfasst, dass viele Unternehmer mit Leihkapital arbeiten, dies aber nur können, wenn aus dem Unterschiede zwischen Produktionskosten und Produktionserlös etwas übrig bleibt. Seine Nutzungstheorie des Kapitalzinses führt ihn dazu, zu erkennen, dass der Unternehmer nur dann fremde Kapitalnutzungen erwerben wird, wenn auch für ihn hieraus ein Vorteil erwächst. Er wird also für das geliehene Kapital nur soviel zu zahlen geneigt sein, dass aus der Nutzung desselben auch für ihn als Gewinn etwas abfällt. So teilt sich die Leistung der Kapitalnutzung in zwei Teile: den Kapitalzins, welcher dem Kapitalisten ausgezahlt wird und in den Unternehmergewinn, welcher dem Unternehmer verbleibt.

Auch Say wird, wenigstens zum Teil - durch seine, allerdings der Produktivitätstheorie nahestehende - Zinstheorie zur Lostrennung von Zins und Gewinn geführt. Freilich verhilft ihm hierzu auch seine klare Auffassung über das Wesen des Unternehmers. Er rügt die Vermengung des Zinses und des Gewinnes bei den englischen Schriftstellern seiner Zeit und bemüht sich das Wesen des Gewinnes aus der Rolle des Unternehmers zu entwickeln. Allerdings gebraucht er den Ausdruck Profit, wie auch Hermann den Terminus Gewinn, für beide, indem er den Zins le profit du capital, den Unternehmergewinn le profit de l’industrie d’entrepreneur nennt. Doch die Trennung beider Einkommenszweige ist vollzogen.

F. A. Walker, der in der amerikanischen Theorie die Lostrennung von Zins und Unternehmergewinn durchgeführt hat (es geschah dies erst in seinem 1883, also einige Jahrzehnte nach Hermanns und Says Werken erschienenem Buche „Political Economy“), berührt sich in zwei Punkten nahe mit Say. Einerseits steht auch bei ihm der Produktivitätsgedanke stark im Vordergrunde, andererseits ist auch er von der wichtigen Rolle der Unternehmer in der Volkswirtschaft durchdrungen. Er sieht ihn den wahren Organisator und Führer der Wirtschaft. Diese Gesichtspunkte lassen ihn erkennen, dass der Unternehmer keineswegs mit dem Kapitalisten, der sein Kapital einfach verleiht und, ohne selbst die Aufgabe des Unternehmers zu lösen, hieraus ein Einkommen bezieht, unter eine Rubrik gehört und deshalb die Quelle seines Einkommens auch nicht dieselbe sein kann, aus welcher der Zins fließt.

48 Ältere Erklärungsversuche für den Unternehmergewinn

Allein die Lostrennung des Unternehmergewinnes vom Kapitalzins war viel leichter, als den selbständigen Bestimmungsgrund des Unternehmergewinnes aufzufinden. Auf der Grundlage der klassischen Theorie war dies eine der schwersten Aufgaben, denn nach ihr enthält der Preis, wenigstens der natürliche Preis, nur Kostenelemente. Es musste also der Unternehmergewinn als Bestandteil der Produktionskosten gefasst werden, denn sonst war kein Raum für ihn in der Erklärung vorhanden.

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Solange der Unternehmergewinn mit dem Zinse gemeinsam als Kapitalprofit behandelt wurde, zeigte sich die Schwierigkeit nur in Hinblick auf die Arbeitswerttheorie, denn für sie bot auch die Erklärung des Zinses einige Schwierigkeit (Bezüglich dieser Schwierigkeiten vergleiche Emil Lederer: Grundzüge der ökonomischen Theorie. 2. Auflage Tübingen 1923.). Sobald aber die Enthaltsamkeit als Kostenelement anerkannt war, konnte an dieses Moment angeknüpft werden und der Gewinn in Verbindung mit der Kapitalverwendung des Unternehmens erklärt werden. Schon die Benennung Kapitalgewinn deutet dies übrigens an. Freilich wurde von Anfang an das Risikomoment mehr oder weniger ebenfalls betont; doch einer ernste Schwierigkeit lag darin für die Theorie kaum, denn auch die Kapitalleihe ist stets in geringerem oder größerem Maße mit Verlustgefahr verbunden. So wird der Gewinn als Vergütung für das in der Unternehmung investierte Kapital und für das mit der Unternehmung verbundene Risiko aufgefasst.

Bei dieser Erklärung muss der Gewinn als eine Größe erscheinen, welche mit der Höhe des investierten Kapitals und der Verlustgefahr der Unternehmung in Verbindung steht. Mit den Erfahrungen des Lebens konnte diese Erklärung nicht ganz in Einklang gebracht werden. Schon Hermann widmet der Untersuchung dieser Frage viel Mühe. Er knüpft an Bemerkungen von Smith an (Wealth of Nations. I. Buch, IX. Kapitel), welche von einer Vergütung der Verlustgefahr und Mühe und Sorge für die Leitung der Unternehmung sprechen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass jedes Kapital zu seiner Befruchtung, „Plan, Sorgfalt, Aufsicht“, überhaupt geistige Tätigkeit erfordert (Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 3. Auflage Leipzig 1924. Seite 219). Dass hierin die Quelle des eigentlichen Gewinnes zu suchen sei, meint auch Say und sein Hochschätzung der Unternehmertätigkeit muss ihn hierin bestärken. So bildet sich langsam eine Erklärung des Unternehmergewinnes heraus, welche mehr das Arbeitsmoment, die Leistung des Unternehmers betont und zu der Auffassung des Gewinnes als wages of superintendence (Lohn für die Leitung und Beaufsichtigung) hinneigt. Die Unternehmertätigkeit wird dabei als eine eigene Art geistiger Tätigkeit, als eine Art qualifizierter Arbeit, der Gewinn hingegen als Lohn dieser Arbeit betrachtet. Das Risikomoment wird natürlich auch durch diese Auffassung berücksichtigt.

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Schon bei Smith ist eine Andeutung dieser Art zu aufzufinden, und seine deutschen Interpretatoren, wie z. B. Jacob, stellen sich auch auf diesen Standpunkt. Auch Mangoldt, der sich um das Problem des Unternehmergewinnes besondere Verdienste erworben hat, kommt dieser Auffassung nahe, obzwar er ausdrücklich betont, der Unternehmergewinn sei weder eine besondere Art von Lohn, noch eine besondere Art von Zins. Zins und Lohn werden seiner Ansicht nach nicht aus der laufenden Produktion, sondern aus dem Ertrage einer früheren Wirtschaftsperiode gedeckt, während der Unternehmergewinn das Ergebnis der laufenden Produktion ist. Lohn und Zins sind bedungenes, also kontraktlich festgestelltes Einkommen, während der Unternehmergewinn nicht dieser Art ist. Trotz alledem kommt aber Mangoldt zu dem Ergebnis, der Unternehmergewinn sei der Preis, des das Publikum für die Dienste zahlt, welche der Unternehmer der Gesellschaft leistet. Hierbei lässt er dann das Produktivitätsprinzip mitspielen. Eine gewisse Verwandtschaft mit dieser Auffassung zeigt sich auch bei Menger, da er ja bei der Schätzung der Produktivgüter die Schätzung der Leistungen der Unternehmer mit einbegreift.