. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 49 bis 51

49 Rentenartige Elemente im Unternehmergewinne

Je mehr die Unterschiede in den Gewinnen bemerkt werden, desto mehr musste auch erkannt werden, dass der Gewinn kein Bestandteil der Produktionskosten ist, viel mehr, wenigstens in seinen Unterschieden, mit der Verschiedenheit der Produktionskosten der einzelnen Unternehmer im Zusammenhang steht. Die Verallgemeinerung des Rentenprinzips musste den Gedanken nahelegen, dass auch der Unternehmergewinn und nucht nur die Grundrente, durch dieses Verschiedenheit der Produktionskosten beeinflusst wird.

Schon Senior und J. St. Mill machen Äußerungen in dieser Richtung, obzwar sie vor allem Unterschiede der Begabung und Geschicklichkeit der Unternehmer vor Augen haben. Es ist leicht verständlich, dass Schäffle, einer der ersten, welche den Rentengedanken verallgemeinern, schon von einer Unternehmerrente spricht (Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft. Tübingen 1867. Seite 194), obzwar er später (Seite 285) die Rente (Gewinnrente) als fremdartiges Element des Unternehmergewinnes bezeichnet. Doch nimmt man einmal den Standpunkt ein, dass aus den Unterschieden der Produktionskosten sich eine Rente ergibt, so ist die Rente als Element des Unternehmergewinnes keineswegs fremdartig. Besonders nicht, wenn man den Unternehmergewinn nicht als einheitliches, sondern sozusagen als ein konglomeratartiges Einkommen betrachtet. Die bisher vorgeführten Gedankengänge führten die Theorie auch in diese Richtung.

So kommt es, dass von vielen, ja man könnte beinahe sagen, von den meisten Nationalökonomen der Unternehmergewinn nicht als einheitliches, sondern als ein zusammengesetztes Einkommen betrachtet wird. Die Vergeltung gewisser, vom Unternehmer der Gesellschaft geleisteter Dienste, sowie das Residualmoment, ein der Rente nahestehendes Moment, werden hier gemeinsam als Entstehungsursache des Gewinnes angegeben.

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So zerlegt Pierson den Unternehmergewinn in drei Elemente. Er meint, der Gewinn sei einerseits ein Entgelt für das Risiko des Unternehmers, andererseits der Lohn der Unternehmertätigkeit und berge außerdem in vielen Fällen noch ein rentenartiges Mehreinkommen in sich. Auch Richolfson, Philippovich, Gide und andere Autoren zerlegen den Unternehmergewinn in mehrere Bestandteile, wobei natürlich verschiedene Variationen vorkommen. Dem Wesen nach läuft diese Erklärung darauf hinaus, die Dienste des Unternehmers als ein aus mehreren Posten zusammengesetztes Kostenelement in den Preis einzufügen, und außerdem das nach Abzug der Kostenelemente entstehende Residuum ihm zuzuweisen. Hiernach enthält also der Unternehmergewinn zum Teil das Entgelt für die bei der Produktion nötigen Aufwendungen und außerdem in vielen Fällen ein Residuum, welches nach Abzug aller Kosten im Preise verbleibt.

Demgegenüber hat es F. A. Walker versucht, den Unternehmergewinn als reines Renteneinkommen zu erklären. Er erblickt im Einkommen des Unternehmers nicht direkt eine Entlohnung der Unternehmerdienste, welche er übrigens, wenn möglich, noch höher einschätzt als die erwähnten deutschen Forscher, sondern eine Folge des Rentenprinzips. Walker wendet nämlich dieses im weitesten Sinne an. Er geht hierbei vom altbekannten Satze aus, die am ungünstigen produzierenden Landwirte wie Unternehmer müssen ihre Produktionskosten rückerstattet bekommen, wenn die Volkswirtschaft nicht in Gefahr laufen will, ihre Dienste zu entbehren. Wie es aber Landwirte gibt, welche unter ungünstigeren Verhältnissen produzieren als andere, und hiernach eine Grundrente beziehen, müssen auch diejenigen Unternehmer einen Gewinn von ihren vorteilhafteren Produktionsbedingungen haben, welche unter günstigeren Verhältnissen als andere produzieren.

Während also eine große Anzahl von Unternehmen, eben bloß ihre Produktionskosten - unter welche natürlich auch ihr Unternehmerlohn und die Verzinsung ihrer eigenen Kapitalien einzurechnen wären, obgleich Walker hierauf kein größeres Gewicht legt, - rückerstattet erhalten und von Walker als no-profit employers bezeichnet werden, erzielen die unter günstigeren Verhältnissen produzierenden Unternehmer einen Gewinn, den Unternehmergewinn. Originalität und wissenschaftlichen Schärfe kann diese Erklärungsversuche gewiss nicht abgesprochen werden und die spätere amerikanischen Theorie hat an diesem Gedankengang angeknüpft. So Carver. Der Unternehmer - meint er - hat den Grenzarbeiter nach seiner Grenzproduktivität zu entlohnen; da aber auch die übrigen Arbeiter nicht höher entlohnt werden, verbleibt ihm ein Gewinn.

Was von diesen Gedankengängen festzuhalten ist, haben schon Hermann und Schäffle betont. Es ist der Gedanke, dass der Gewinn, wie es besonders Schäffle stark hervorhebt, kein Preis der Unternehmertätigkeit, sondern ein Unterschied zwischen den Produktionskosten und dem Preiserlöse der Produktion ist. Er führt also diese Betrachtung zu dem Ergebnisse, dass der Unternehmergewinn kein Bestandteil der Produktionskosten, sondern ein Überschuss über dieselben ist. Welche Schwierigkeit dieser Auffassung in der Preistheorie entgegentreten, wird uns jetzt beschäftigen.

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50 Die dynamische Theorie des Unternehmensgewinnes

Die Wert- und Preistheorie legen einem einheitlichen Erklärungsprinzipe für den Unternehmergewinn große Hindernisse in den Weg. Ob wir uns auf die Basis der klassischen Werttheorie stellen, oder ob wir die subjektive Wert- und Preislehre annehmen, macht hierbei keinen Unterschied. Im ersten Falle wird der Preis gleich den Produktionskosten angenommen, und es bleibt bloß der Ausweg, die Leistung des Unternehmers ebenfalls unter dieselben einzureihen, was wiederum nicht geringe Schwierigkeiten bereitet, da die Unternehmertätigkeit einen zu komplexen Wirkungskreis umfasst, um als einheitliches Kostenelement betrachtet werden zu können und infolgedessen schwer und nie ganz als Kostenelement aufzufassen ist. Über diese Schwierigkeit ist wohl höchstens so hinwegzukommen, dass wir den Unternehmergewinn als ein spezielles Lohneinkommen für die Mitwirkung bei der Produktion betrachten, oder aber, wie dies die eben gekennzeichnete Auffassung tut, bloß einen Teil des Unternehmereinkommens, nämlich die Risikoprämie und den Unternehmerlohn, unter die Kosten einbeziehen und das rentenartige Element auf einer anderen Grundlage erklären. Stellen wir uns aber auf die Grundlage der subjektiven Wert- und Preislehre, so steht das Zurechnungsphänomen im Wege der Erklärung, denn es ist der ganze Betrag des Resultates der Produktion auf die mitgewirkten Produktivkräfte im Wege der Zurechnung aufzuteilen. Für den Unternehmergewinn bleibt eigentlich im einen wie im anderen Falle kein Raum. Derselbe muss, da er eben unzweifelhaft zu beobachten ist, auf ein unvollkommenes Funktionieren der Konkurrenz im einen Falle und als eine unvollkommene Durchführung der Zurechnung der produktiven Beiträge im anderen Falle zurückgeführt werden.

Dies hat schon Walras erkannt, und Pantaleoni teilt seine Ansicht. Diese Erklärung des Unternehmergewinnes wurde als Friktionstheorie bezeichnet, da sie das Unternehmereinkommen aus Reibungen und Unvollkommenheiten auf dem Gebiete der Wert- und Preisbildung ableitet. Ein hervorragender Vertreter dieser Auffassung ist Clark. Er meint, im statischen Zustande der Volkswirtschaft könne der Unternehmergewinn nur einer unvollkommenen Wirkung der Konkurrenz zugeschrieben werden.

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Nicht so im dynamischen Zustande der Volkswirtschaft. Jene Kräfte, welche in der statischen Volkswirtschaft durch Gleichsetzung des Preises mit den Produktionskosten der Gewinnbildung im Wege stehen, und höchstens dadurch Gewinne entstehen lassen, dass sie unvollkommen wirken, legen der Entstehung von Gewinnen keine Hindernisse mehr in den Weg, sobald eine Entwicklungsphase der Volkswirtschaft einsetzt, denn die neuen Produktionsmethoden sind im Zeitpunkte ihres Aufkommens der Konkurrenz nicht zugänglich. Hier liege, meint schon Clark, die Quelle des Unternehmergewinnes.

Die amerikanische und die englische Literatur haben diesen Gedanken weiter verfolgt. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen kann darin zusammengefasst werden, dass im statischen Zustande der Volkswirtschaft überhaupt kein Raum für den Unternehmergewinn vorhanden ist und derselbe nur aus der Tatsache des wirtschaftlichen Fortschritts erklärt werden kann.

In die deutsche Literatur ist dieser Gedanke von Schumpeter eingeführt worden (Vergleiche seine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. München 1912). Er sucht nachzuweisen, dass, so lange sich kein wirtschaftlicher Fortschritt vollzieht, die Preise der Produktionsmittel in der kapitalistischen Wirtschaft sich so stellen müssen, dass sie den Produktionspreis erschöpfen, und der Unternehmergewinn kann nur dadurch entstehen, dass der Übergang von einem statischen Zustande, in welchem es keine Wertüberschüsse gibt, zu einem neuen statischen Zustande, in welchem wiederum keine solchen Wertüberschüsse entstehen können, nicht ohne Hilfe des Unternehmers vor sich gehen kann. Der Unternehmergewinn entsteht also nur dadurch, dass die Volkswirtschaft nie rein statisch ist, sondern immer dynamische Kräfte sich entfalten lässt, deren Träger eben der Unternehmer ist. Die englisch-amerikanische Literatur konnte hier an Walker anknüpfen, der ja eigentlich eine ähnliche Ansicht entwickelt hat, bloß ohne einen entsprechenden Sinn für den statischen und dynamischen, für die stationäre und für die fortschreitende Volkswirtschaft zu haben. Deshalb muss er sich bei Ableitung des Profits ausschließlich auf das Rentenprinzip stützen, während die neuen amerikanischen Schriftsteller das Entwicklungsmoment als Quelle des Profits betonen. Schon Seager steht, zwar noch etwas zaghaft, auf diesem Standpunkte. Die Vertiefung dieses Gedankens hat vor allem Hobson durchgeführt. Die Stärke des Unternehmens, meint Hobson, liege in den Gebieten fortschreitender Industrien (Vergleiche Hobson: „The industrial system.“ New York 1909). Sie sind die eigentliche Quelle der Gewinne und der Profit ist der Preis des wirtschaftlichen Fortschrittes. Der rentenartige Charakter der Gewinne wird auch durch diese Erklärung anerkannt.

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Eine ausführliche Geschichte der Kapitalzinstheorien findet sich beim Böhm-Bawerk: Kapital und Kapitalzins. I. Abteilung. Geschichte der Kapitalzinstheorien. 4. Auflage Jena 1921. In der II. Abteilung dieses Werkes wird die Agiotheorie entwickelt. Einen Überblick über die gegen sie erhobenen Einwände bietet Sivers: Die Zinstheorie E. von Böhm-Bawerks im Lichte der deutschen Kritik. Jena 1924. - Die dynamische Zinstheorie entwickelt Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. 2. Auflage München 1926. Daselbst ist auch die dynamische Theorie des Unternehmergewinnes aufgeführt. - Bezüglich der Abstinenztheorie sei außer Senior auf Carver: The distribution of wealth New York 1911, sowie auf Cassels Theoretische Sozialökonomie. 3. Auflage Leipzig 1923, hingewiesen, wo die Theorie des Wartens als Zinstheorie vorgeführt wird.

Außerdem über Kapitalzins: Böhm-Bawerk: Einige strittige Fragen der Kapitaltheorie. Wien 1900. - Hainisch: Die Entstehung des Kapitalzinses. Wien 1907. - Sax: Der Kapitalzins. Berlin 1917. - Oppenheimer: Wert und Kapitalprofit. 2. Auflage Jena 1922. - Budge: Der Kapitalprofit. Jena 1920. - Landry: L’intérêt du capital. 1904. - Wicksell: Über Kapital und Rente. Jena 1893.

Über den Unternehmergewinn: Piestorff: Die Lehre vom Unternehmergewinn. Wien 1884. - Brentano: Der Unternehmer. Berlin 1907. - F. A. Walker: The source of business profits. New York 1887.

Über die geschichtliche Entwicklung der Lehre vom Kapitalzins: Wuttke: Die Lehre vom Zins, sowie Eckert: Unternehmereinkommen, beide in der Festgabe Schmoller. Band I. Leipzig 1908.

D Der Arbeitslohn

51 Das eherne Lohngesetz

Der Weg, welchen die Theorie des Arbeitslohnes beschreiten sollte, und jene Bahn, in welcher sie sich lange Zeit hindurch bewegte, wurden ihr schon von den Physiokraten vorgezeichnet. Bereits Quesnay deutete ihn an, und Turgot führte jenen Gedanken klar aus, dass der Arbeitslohn sich unter dem Drucke des Wettbewerbs auf den notwendigsten Lebensunterhalt der Arbeiter beschränken müsse. Nachdem in England Torrens diesen Gedanken aufgriff, wurde diese Theorie, durch Ricardo gefertigt und vertieft, indem er sie mit seinem Rentengesetze und dem Malthusschen Bevölkerungsgesetze in Verbindung brachte. Sie steht in vollsten Einklange mit seiner Wert- und Preislehre und hat hierdurch viel dazu beigetragen, durch ihre Klarheit und durch ihre scheinbare Übereinstimmung mit der Gestaltung der damaligen Verhältnisse in England das Ansehen der klassischen Lehre zu heben.

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Ricardo erklärt die Gestaltung des Lohnes aus den Vergängen am Arbeitsmarkte. Wie bei den anderen Waren, so ist auch bei der Arbeit das Verhältnis von Angebot und Nachfrage für den Marktpreis entscheidend. Es gibt aber auch bei der Arbeit, wie bei den übrigen Waren, einen natürlichen Preis, und derselbe richtet sich, ebenso wie bei den übrigen Waren, nach den Produktionskosten. Worin aber unterscheiden dieselben? Aus jenen Nahrungsmitteln, aus jenen Bedarfsgegenständen und Annehmlichkeiten, die für den Unterhalt einer Familie benötigt werden.

Liegt da nicht ein Zirkelschluss vor? Der Lohn soll aus den Preisen der Güter erklärt werden, während diese sich nach ihren Kosten, unter welchen die Arbeit das wesentliche ist, richten sollen. Es wäre nicht gerecht, gegen Ricardo diesen Vorwurf zu erheben. Der Arbeiter benötigt zur Fristung seines Lebens in erster Reihe Nahrung. Hierdurch entsteht die Abhängigkeit des natürlichen Preises der Arbeit von den Lebensmittelpreisen. Nun sind nach dem Gesetze Ricardos für den Preis der Lebensmittel die höchsten Kosten ihrer Erzeugung entscheidend. Der Preis der Arbeit wird demnach durch jenes Opfer bestimmt, welches an der Grenze der Produktion für die Erzeugung der Lebensmittel aufgewendet werden muss. Hierdurch entsteht auch jene Parallele, welche Ricardo in der Gestaltung des Arbeitslohnes und der Grundrente feststellt, wonach mit steigender Grundrente auch der Nominallohn der Arbeiter steigen muss (Paralleltheorie). Die Konkurrenz auf der Angebotsseite, welche aus der Zunahme der Bevölkerung sich ergibt, verhindert jedoch auch ein paralleles Steigen des Reallohns, also eine wirkliche Verbesserung der Lebenshaltung der Arbeiter, so dass die Grundrente in Getreide ausgedrückt steigt, während der Arbeitslohn in Getreide berechnet derselbe bleibt und nur dazu ausreicht, der Arbeiterklasse den gewohnten Lebensunterhalt zu gewährleisten. Die Lohntheorie Ricardos steht also nicht nur im vollsten Einklange mit seiner Preis- und Grundrententheorie, sondern sie steht auch ebenbürtig seiner Kostentheorie zur Seite.

Freilich behauptet Ricardo keineswegs, dass sich die Löhne den Getreidepreisen unvermittelt, also augenblicklich anpassen können. Vielmehr hat eine Erhöhung der Getreidepreise unmittelbar ein Sinken des Reallohnes zur Folge, da der Lohn vorerst zurückbleibt (Konträrtheorie). Für die Dauer ist aber nach Ricardo dieser Zustand nicht haltbar, weil der Lohn schon vor der Erhöhung der Getreidepreise nur das Lebensminimum für die Arbeiter bietet und diese Höhe wiederum erreichen muss, denn ein Lebensminimum muss dem Arbeiter noch gesichert werden, wenn er sich und seine Familie erhalten soll.

Sowohl die Paralleltheorie, aus auch die Konträrtheorie, welche insbesondere von Dietzel tiefer begründet wurde, spielten im Kampfe zwischen Freihandel und Schutzzoll eine erhebliche Rolle. Hierüber handelt eingehend Diehl im II. Teil seiner Erläuterungen zu Ricardos Grundgesetzen.

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Der Kreis jener Nahrungsmittel und jener Bedarfsgegenstände, welche der Arbeiter für seinen Unterhalt benötigt, ist keineswegs unbeweglich und unabänderlich; er wechselt zu verschiedenen Zeiten um selben Lande ebenso wie in verschiedenen Ländern zur selben Zeit. Er wird durch die Sitten und Gewohnheiten des Volkes bestimmt. Der natürliche Preis der Arbeit stellt sich aber infolge der Konkurrenz stets so, dass der Arbeiter bloß ein Minimum an Nahrungsmitteln und Bedarfsgütern konsumieren kann. Wenn dieses Existenzminimum auch mit der Zeit und mit fortschreitender Kultur etwas gehoben werden kann, so bedeutet es doch immer das Minimum an Lebensannehmlichkeiten auf der fraglichen Kulturstufe. Steigt der Marktpreis der Arbeit über dieses Minimum, so hebt sich die Lage des Arbeiters, aber die Möglichkeit der zunehmenden Lebensannehmlichkeiten übt einen ermunternden Einfluss auf die Bevölkerungsvermehrung aus und führt im Endresultate zur Anpassung des Marktpreises der Arbeit an den natürlichen Preis derselben. Das ist mit einem Sinken der Löhne gleichbedeutend, welche so lange andauert, bis der Marktpreis der Arbeit wiederum beim Existenzminimum angelangt ist.

Für den Sozialismus konnte es kaum etwas Willkommeneres geben als diese Erklärung des Lohnes. Die Lohntheorie Ricardos musste bloß rot gefärbt werden, um das Agitationsmittel gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung abzugeben. Der große Agitator Lassalle war es, der dies bewirkte. Er gibt Ricardos Ansichten über den Lohn, welche er als Gemeingut der Wissenschaft bezeichnet, wieder und braucht dieser Theorie nichts mehr hinzuzufügen als einen klanghaften Namen. Er nennt das Gesetz, der Lohn habe die Tendenz, dem Existenzminimum zuzustreben, das eherne und grausame ökonomische Gesetz, das unter der Herrschaft von Angebot und Nachfrage den Arbeitslohn mit unerbittlicher Grausamkeit bestimmt.

Auch er erkennt, dass das Existenzminimum einer gewissen Änderung zugänglich ist. Aber dies ändert, seiner Ansicht nach, an der Grausamkeit dieses Gesetzes gar nichts, denn ein gesteigertes Existenzminimum der untersten Lebensbedürfnisse gibt auch Leiden und Entbehrungen, welche frühere Zeiten nicht gekannt haben. Der durch den Lohn gesicherte Lebensstandard bleibt eben immer die unterste Stufe der Lebenshaltung, die unterste Stufe der Existenzmöglichkeit. Nicht auf das Absolute, sondern auf das Relative kommt es hier an. Was entbehrt der Botokude dabei, fragt Lassalle, wenn er sich keine Seife kaufen kann? Beweist dies aber, dass der europäische Arbeiter, falls er sein Reinlichkeitsbedürfnis nicht befriedigen kann, keine Entbehrung leidet?

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