. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 74 bis 76

74 Der auswärtige Handel und die Geldtheorie

Schon die Theorie von der Handelsbilanz zeigt eine enge Verkettung mit den Fragen der Geldlehre, indem die Frage der Geldausfuhr mit der Münzfrage in Verbindung gebracht, andererseits ein Zusammenhang zwischen Geldmenge und Zinsfuß angenommen wurde. So untersuchte insbesondere Locke die Ursachen der Zinshöhe und zwischen Malynes und Misselden entspannt sich schon in der Zeit zwischen 1601 und 1623 ein Streit darüber, ob der damals um sich greifende Wechselverkehr mit der übermäßigen Geldausfuhr in Verbindung stehe.

In der Handelsbilanzlehre spielt das Geld gewissermaßen als das Ziel der auswärtigen Handelsbeziehungen eine Rolle, indem der Außenhandel als Werkzeug zur Sicherung der erstrebten Geldmenge betrachtet wird. Jene Entwicklung, welche diesbezüglich zur klassischen Lehre hinüberführt, können wir gewissermaßen als eine Entthronung des Goldes bezeichnen. Im Anschlusse an die oben schon berührten Punkte erfolgt nämlich eine Vertiefung der Lehre in jener Richtung, welche den Geldschleier immer mehr lüftet, und die hinter demselben verborgenen Erscheinungen von Produktion und Verbrauch ins Auge fasst. Dies musste dazu führen, dass das Geld langsam als nichts selbständiges und auch nicht an sich begehrenswertes, sondern als bloßes Werkzeug erkannt wird. Aus jenem Idol, als welches das Geld dem keimenden Merkantilismus erschien, wird langsam ein natürliches Ding, welches an sich nichts bedeutet, sondern nur ein einfaches Werkzeug des Verkehrs ist und welches das Wirtschaftsleben nicht beherrscht, sondern demselben eben bloß als Werkzeug dient.

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Nach verschiedenen Anläufen in dieser Richtung finden wir eine entschiedene und klare Auffassung dieser Sachlage bei Hume. Den Hintergrund für die Erfassung des Zusammenhanges zwischen Geldmenge und Außenhandel bildet für Hume die Quantitätstheorie. Ob das Geld in einem Lande verbleibe, oder dasselbe verlasse, hängt nach der Auffassung Humes mit der Bewertung des Geldes zusammen. Denn auch das Geld suche jenes Land, in welchem es höher bewertet wird. Fällt in einem Lande der Geldwert, weil zu viel Geld im Verhältnisse zur Volkswirtschaft vorhanden ist, so steigen die Preise, was die Einfuhr aneifert und eine Geldausfuhr hervorruft. Auf diese Weise verhalte sich das Geld in internationaler Beziehung gerade so, wie eine Flüssigkeit in verschiedenen Becken, welche miteinander in Verbindung stehen. Es bildet sich ein einheitliches Niveau und jede hineinströmende Geldmenge werde sich, so fern freier Handel besteht, dem einheitlichen Niveau entsprechend verteilen. Demnach können nur eine Volkswirtschaft, welche sich von den anderen absperrt, einen Überfluss an Geld haben, während bei freiem Verkehr jede Volkswirtschaft stets genug, nie aber mehr als genug Geld besitzen kann. Man bezeichnet diese Theorie mit Recht als die Nivellierungstheorie. Sie beruht einerseits auf der Quantitätstheorie, aus auf dem Zusammenhange zwischen Geldmenge und Geldwert, andererseits aber auf der Gegenwirkung zwischen Geld und Waren ebenso, wie das Geld in einer Weise zwischen den Nationen verteilt, welche den marktlichen Verhältnissen, also den Preisen und der Zahlungsfähigkeit entspricht.

Ricardo fand in bezug auf das Wesen des Geldes sowie dessen Rolle im Außenhandel schon ziemlich klare Ansichten vor. Die Grundlage für seine Untersuchungen bildet die Nivellierungstheorie, also der selbständige Ausgleich des Goldes im internationalen Verkehr. Nur verschiebt sich das Problem für ihn in einer bestimmten Richtung, indem er die Folgen der Bankrestriktion des Jahres 1797 untersucht. Seitdem nämlich in England die Aufhebung der Barzahlung erfolgte, rückte das Problem der Wechselkurse in den Mittelpunkt des Interesses. Mit den oben erörterten Anschauungen über die Geldbewegung steht dieses Problem dadurch im Zusammehange, dass die Verschlechterung der Wechselkurse als eine Folge der Inflation betrachtet wurde. Ricardo selbst steht auf diesem Standpunkt. In seinem 1809 erschienenen Aufsatze „The high Price of Bullion; a Proof of the Depreciation of Bank Notes“ vertritt er die Ansicht, dass die Verschlechterung der Wechselkurse mit dem Sinken des Wertes der englischen Währung zusammenhängt. Geld werde nur dann ausgeführt, wenn es die billigste Ware ist, und dieser Zustand sei heraufbeschworen durch die Überausgabe von Papiergeld, welche den Geldwert herabgedrückt und zugleich den Preis der Waren erhöht hat. So sei der Grund für die hohen ausländischen Wechselkurse zwar in der ungünstigen Handelsbilanz zu suchen, diese sei jedoch ein Ergebnis der übergebührlichen Zunahme der Zahlungsmittel. So wird bei Ricardo die Nivellierungstheorie Humes mit einer Theorie der Inflation verbunden und eine Theorie der Wechselkurse entwickelt, welche das einheimische Geldwesen für de Bewegung der Wechselkurse verantwortlich macht.

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Die Ansichten Ricardo wurden halb weiter gebildet. Ricardo war, wie wir sahen, der Ansicht, dass eine Inflation unbedingt die Verschlechterung der Wechselkurse hervorrufen müsse, während bei freier Einlösbarkeit der Banknoten eine solche Gefahr überhaupt nicht bestehe. Samuel Jones Loyd (Lord Overstone) verschärfte die Theorie Ricardos, indem er behauptete, dass ein Abfluss von Geld vor sich gehen könne, ohne dass davon die Warenpreise unmittelbar beeinflusst werden würden. Falls es nämlich im Belieben der Notenbank steht, abfließendes Geld durch Banknoten zu ersetzen, müsse die selbständige Regelung von Goldmenge und Preisstand gestört werden, indem das Abfließen von Zahlungsmitteln die Geldseite der Volkswirtschaft nicht vermindere, da Banknoten an die Stelle des Goldes treten. Diese Zuspitzung der Ricardoschen Lehre wird die Currencytheorie genannt. (Ihr Name stammt davon, dass Lord Overstone von Umlaufmitteln - englisch currency - spricht, worunter er Edelmetall und Papierzahlungsmittel zusammen versteht.) Wie bekannt, wurde die Currencytheorie die Grundlage für die Peelsche Bankakte vom Jahre 1844.

Schon mit Ricardo begann die sogenannte Bullion-Kontroverse. Während nämlich Ricardo und seine Anhänger als Bullionisten bezeichnet wurden, wurde ihnen von den sogenannten Antibullionisten eine gegenteilige Meinung entgegengehalten. Looke, Fullarton und Wilson stellten der Ansicht, es sei die Verschlechterung der Wechselkurse einer übermäßigen Ausgabe von Papiergeld zuzuschreiben, die Auffassung gegenüber, dass es, falls die Banknoten nur Zwecks Diskontierung von Warenwechseln verwendet werden, eine Überemission von Banknoten überhaupt nicht geben könne. Es wurde von ihnen die Natur des Wechsels als Kreditmittel betont und hervorgehoben, dass eben diese Eigenschaft zu einer Rückströmung der Banknoten führen müsse (banking principle). Es sei also nicht begründet, die Ursache der Verschlechterung der Wechselkurse prinzipiell in einer übermäßigen Ausgabe von Papierzahlungsmitteln zu suchen.

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75 Die Theorie der Zahlungsbilanz

Die Currencytheorie und auch die ihr als Ausgangspunkt dienende Theorie Ricardos sucht die Ursache der Veränderung in den Wechselkursen auf valutarischen Gebiete. Sie sieht in den Vorgängen der Währung die bewegende Kraft, die Ursache, in den Transaktionen des auswärtigen Handels hingegen sowie in der Goldbewegung das Verursachte.

Sehen wir genauer zu, so steht diesen Theorien vor allem die alte Handelsbilanztheorie, wonach Export Geld ins Land bringt, Import Geld aus dem Lande treibt, ferner die Nivellierungstheorie, wonach sich das Geld bei freiem Verkehr nach dem Bedarfe der einzelnen Länder verteilt und schließlich die Quantitätstheorie, welche den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen als bewegende Kraft dieses Mechanismus hinstellt.

Doch der Mangel dieser Einstellung der Frage musste sich zeigen, sobald einmal die Frage klar aufgeworfen wurde, worin denn eigentlich die internationalen Geldbewegungen ihr Ursache haben. Der einfache Hinweis auf die Veränderung der Geldmenge verursachte Geldbewegung der Nivellierungstheorie musste als mangelhaft erkannt werden, sobald einmal die Natur der internationalen Verbindlichkeiten näher untersucht wurde, denn es musste sich herausstellen, dass die Gestaltung dieser Verbindlichkeiten zwischen den einzelnen Volkswirtschaften keineswegs ausschließlich mit den Warenpreisen im Zusammenhange steht.

Die gründliche Analyse der internationalen Zahlungsverbindlichkeiten hat Lord Goschen (1863) als erster durchgeführt. Er hat gezeigt, dass diese Verbindlichkeiten außer der Warenbewegung auch wichtige andere Elemente, namentlich Elemente der Kapitalbewegung sowie anderer Forderungs- und Schuldposten enthalten. So ist erst durch Goschen die alte Handelsbilanztheorie endgültig und bewusst überwunden worden, indem nun klar wurde, dass die Handelsbilanz ein zu enger Begriff ist um den Stand der Wechselkurse erklären zu können. Hierzu ist ein weiterer Begriff, der Begriff der Zahlungsbilanz nötig, welcher alle Posten umfasst, die den Forderungs- und Schuldverhältnissen zweier Länder entstehen. Der Kapitalverkehr, Dividenden und Zinsen, Frachtsätze, Provisionen usw. kommen zur Handelsbilanz hinzu, denn sie führen ebenso zu Forderungen und Schulden, wie die Posten der Handelsbilanz.

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War einmal aber dies erkannt, so musste sich die bewegende Kraft der internationalen Verbindlichkeiten auf einer viel breiteren Basis zeigen, als es die Nivellierungstheorie angenommen hat. Nicht mehr die Geldmenge, sondern die verschiedenen Lebenslagen, welche Forderungs- und Verschuldungsverhältnisse hervorrufen, mussten als jene Kraft erkannt werden, welche die internationalen Verbindlichkeiten hervorruft. Hiermit war auch die schon die Ursache der Wechselkursbewegungen von der einfachen Grundlage der Quantitätstheorie verrückt. Es konnte nicht mehr die Geldmenge als Regulator der Wechselkurse betrachtet werden, wenn man einmal sah, dass Zahlungsverpflichtungen aus den verschiedensten Gründen entspringen können.

Anstatt eines Indiziums der Geldbewegung und des Standes der Warenpreise musste sich der Wechselkurs einfach als Preis der ausländischen Wechsel zeigen, welcher vom Stande des Angebots und der Nachfrage nach Devisen beherrscht wird. Als Faktoren des Marktes der Devisen aber, welche Angebot und Nachfrage bestimmen, mussten die Verbindlichkeiten zwischen beiden Ländern, welche in Frage kommen, in ihrer Gesamtheit, also die Zahlungsbilanz derselben erkannt werden. So trat an die Stelle der Currencytheorie die viel breitere Theorie der Zahlungsbilanz. Sie gibt eine viel umfassendere und tiefer greifende Erklärung der Bewegung der Wechselkurse als die älteren Theorien. Sie berücksichtigt alles, was die Verbindlichkeiten der Volkswirtschaften untereinander beeinflusst.

Goschen erkannte auch in welcher Weise durch die Geldsendungen der Wechselkurs bei freier Goldausfuhr zwischen dem oberen und dem unteren Goldpunkte gehalten wird. Er gab zuerst eine klare Darstellung darüber, dass die freie Wahl zwischen Goldsendung und dem Ankaufe von ausländischen Wechseln dazu führt, dass der Wechselkurs, solange Gold frei erhältlich ist, nicht über die Kosten der Goldsendung steigen könne. Auch gab er eine einwandfreie Erklärung des Goldagios.

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Für die Praxis bestand der große Vorteil dieser Theorie darin, dass das Augenmerk von der einseitigen Berücksichtigung der Geldbewegung und der Warenpreisbewegung auf das Zinsproblem gelenkt wurde. Somit gelang die Theorie auf eine Fährte zurück, welche schon der Merkantilismus, freilich in einer ganz anderen Richtung verfolgte. Der Merkantilismus spürte dem Zusammenhang zwischen Geldmenge und Zins in Verbindung mit dem Geldabflusse nach. Auch die Zahlungsbilanztheorie konstruierte einen Zusammenhang zwischen diesen Faktoren, aber schon unter Berücksichtigung der Wechseldiskontierung und hiermit auf der Grundlage einer klareren Erfassung des Zusammenhanges zwischen Geld und Kapital. Die Höhe des Diskontes wird als eine Folge der Flüssigkeit oder der Verknappung der Kapitalmittel erkannt und bricht sich mit Bagehot die Ansicht Bahn, dass der Diskont der Notenbank als Regulativ für die Goldbewegung zwischen Ländern zu verwerten sei. So führte die Weiterentwicklung der Theorie zu der Erkenntnis der Wichtigkeit der Diskontpolitik. Auch die spätere Erkenntnis, dass die Notenbank durch Eingreifen in den Devisenmarkt, also durch zielbewusste Devisenpolitik den Stand der Wechselkurse beeinflussen könne, ist eine praktische Anwendung der Theorie der Zahlungsbilanz.

76 Die Theorie der Kaufkraftparität

Die Theorie von der Zahlungsbilanz schien ein unumstößlicher Satz der Theorie von den auswärtigen Handelsbeziehungen der Völker zu sein, so lange nicht wiederum eine starke Inflation die auswärtigen Handelsbeziehungen der Völker erschütterte. Als aber der Weltkrieg wiederum Inflationsverschiebungen größten Stils heraufbeschwor, erlangte wiederum eine Strömung Oberhand, welche die Inflationserscheinungen, als die Geldvermehrung in den Mittelpunkt der Theorie der Wechselkurse stellte.

Schon während dem Weltkriege behauptete Wicksell, die Verschlechterung der Wechselkurse Deutschlands sei dadurch hervorgerufen worden, dass es versäumt wurde, die Diskontschraube rechtzeitig anzuziehen und deshalb das Steigen der Warenpreise und das Sinken des Geldwertes nicht verhindert wurde. Noch entschiedener wurde von Cassel behauptet, das Steigen der fremden Wechselkurse sei eine Folge der Inflation und Cassel bemühte sich nachzuweisen, dass das Steigen der Devisenkurse dem Steigen des Preisniveaus in Deutschland proportional sei, sonach eine Wirkung des gesunkenen Geldwertes darstellte.

So entstand in den Händen von Cassel die Theorie der Kaufkraftparität. Sie besagt, dass das Wertverhältnis zweier Währungen, welche Inflation erlitten haben, dem Verhältnisse entspricht, in welchem die Kaufkraft derselben zueinander steht. Kurz hat Cassel die Theorie in folgenden Worten zusammengefasst: „… wenn zwei Valuten Inflation erlitten haben, ist der normale Wechselkurs gleich dem alten Kurse multipliziert mit dem Quotienten zwischen dem Grade der Inflation in dem einem oder dem anderen Lande.“ (Vergleiche Cassel: Das Geldwesen nach 1914. Leipzig 1925. Seite 105.)

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Der Theorie von der Kaufkraftparität liegt jene Erwägung zugrunde, dass die fremden Geldsorten und die Devisen im Auslande deshalb Wert besitzen, weil die im Ursprungslande zur Zahlung verwendet werden können. Sie werden für diesen Zweck nachgefragt. Wenn dem so ist, meint Cassel, so müsse sich auch das Wertverhältnis derselben nach dem Verhältnisse der Kaufkraft beider Geldarten richten. Cassel erkennt hiernach, dass es einen natürlichen Stand der Wechselkurse gibt. Dieser wird eben seiner Ansicht nach durch das Verhältnis der Kaufkraft beider Währungen zueinander bestimmt.

Indem Cassel, wie er sagt, auch die Goldwährung als freie Währung gedacht zu begreifen sucht und sich so von der Vorstellung der Münzparität als natürliche Parität loszumachen trachtet, wird man gewissermaßen an die Ausführungen Knapps über den intervalutarischen Kurs erinnert. Auch Knapp will den Stand der Wechselkurse in seiner natürlichen Bedingtheit erkennen, indem er sich von der Vorstellung loszumachen trachtet, als ob die Münzparität als sozusagen zwingende Grundlage der Wechselkurse zu betrachten wäre. Nur wird das Interesse Knapps, durch seine Hauptidee geleitet, auf die Möglichkeit der planmäßigen Regelung des Wechselkurses gerichtet, während Cassel direkt den natürlichen Stand zu erforschen sucht.

Es ist nicht zu verkennen, dass die Theorie der Kaufkraftparität sich eng mit den Lehren Ricardos über die Wechselkurse berührt. Ihre Grundlage ist ebenfalls eine scharf gefasste Quantitätstheorie, sowie der Glaube, dass der Grund der Wechselkursänderungen, - wenigstens zur Zeit der Inflation, - in den Verhältnissen der Geldmenge, beziehungsweise in den durch Änderung der Geldmenge heraufbeschworenen Änderungen der Kaufkraft des Geldes zu suchen sei. Freilich ist Cassel viel weniger einseitig, wenn er anerkennt, das Abweichungen von der durch die Kaufkraftparität bestimmten Kursen eintreten können. Allein wo wird die Quelle dieser Abweichungen gesucht? In Hemmungen des freien Handelsverkehrs, also darin, dass sich die Kaufkraftparität wegen Aufhebung der natürlichen Verhältnisse nicht auswirken könne. Hieraus folgt, dass als natürlicher Bestimmungsgrund des äußeren Geldwertes nur die Kaufkraft der fraglichen Währung betrachtet wird, welche wiederum als durch die Geldmenge bestimmt angenommen wird.

Die Annahme als ob die Grundlage der Wechselkursbildung im Angebot an Devisen und in der Nachfrage nach denselben, also in dem Stande der Zahlungsbilanz zu suchen wäre, wird von Cassel entschieden zurückgewiesen. Er meint, diese Annahme sei nichtssagend und erfasse nicht das Wesen des Vorganges. Demgegenüber wird von vielen Autoren auch weiterhin die Zahlungsbilanz als der entscheidende Faktor der Wechselkurse betrachtet. Besonders Keilhau hat auf die wichtigen Momente in dieser Richtung hingewiesen. So spalten sich die Ansichten über die Gestaltung der Wechselkurse neuestens wiederum. Während ein Teil der Theoretiker an der Lehre Goschens festhielt (so Diehl, Bendixen, Schmidt) und höchstens zu gewissen Zugeständnissen sich bereit fand, ist von vielen die Theorie der Kaufkraftparität angenommen worden (Keynes, Mises und andere).

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Es ist nicht zu bestreiten, dass Cassel durch seine Theorie den Geldwert als Bestimmungsgrund der Wechselkurse in den Kreis der Beachtung gerückt hat. Zweifellos darf dieser Bestimmungsgrund durch eine richtige Theorie nicht vernachlässigt werden, denn darin hat doch Cassel unbedingt recht, dass die fremden Wechsel zum Zwecke erworben werden, die als Kaufkraft zu verwenden. Wenn dem aber so ist, so muss die Kaufkraft, welche das fremde Geld im Ursprungslande besitzt, entscheidend in den Vorgang eingreifen.

Ist hierdurch schon bewiesen, dass das Verhältnis der Wechselkurse durch das Verhältnis der Kaufkraft der beiden Währungen bestimmt wird? Gewiss wird die Kaufkraft der Geldeinheit jeder Transaktion der Zahlungsbilanz zugrunde gelegt, doch kann auch der Stand der Zahlungsbilanz, also das Verhältnis der Forderungen und Schulden, nicht gleichgültig für den Kurs sein. Das von Cassel als nichtssagend behandelte Verhältnis von Angebot und Nachfrage an Devisen muss dich auch einen, und zwar einen entscheidenden, der Kaufkraft adäquaten Einfluss auf die Wechselkurse besitzen. Und dieser Faktor ist in jenem der Kaufkraft nicht enthalten, weil die Posten der Zahlungsbilanz keineswegs einfach als Ausfluss der Kaufkraftänderungen entstehen. Die Schwankungen des Wechselkurses brauchen nicht Folgen von Kaufkraftveränderungen zu sein, sondern sie können ebensogut durch Änderungen der Bedürfnisse, sowie der Produktion heraufbeschworen werden, welche sich durch die Verschiebung von Angebot und Nachfrage, also der Änderung der Posten der Zahlungsbilanz auswirken. Wohl hat Cassel darin recht, dass die Zahlungsbilanz stets ausgeglichen werden muss, doch eben deshalb muss dieser Ausgleich den Kurs drücken, wenn Devisen im Überfluss zu haben sind und ihn heben, wenn Devisen schwer zu bekommen sind. Dies wurde bei Ausbruch des Weltkrieges unzweifelhaft bewiesen, als der Pfundkurs in New York in die Höhe schnellte, weil die Vereinigten Staaten rasch große Zahlungen an England zu leisten hatten. Von einer Änderung der Kaufkraftparität konnte doch damals noch keine Rede sein oder wenigstens keinesfalls in so hohem Maße.

Über den auswärtigen Handel lese man zunächst die oben erwähnten Grundwerke von Smith, Ricardo und J. St. Mill, ferner Cairnes Some leading principles of political Economy 1874. - Kurzer Überblick über diese Lehren bei: Eßlen: Die Politik des auswärtigen Handels. Stuttgart 1925. - Ferner Földes: Zur Theorie vom internationalen Handel. Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik III. Fassung. Band 49. - Bastable: The theory of international trade. 2 Auflage London 1897. - Hobson: International trade. London 1904. - Schüller: Schutzzoll und Freihandel. Wien 1905. -

Über Wechselkurse: Ricardo: Proposals for an economic and secure currency. 1816 (deutsch bei Machlup: Die Goldkernwährung. Halberstadt 1925). Goschen: The theory of foreign exchanges. London 1863 (deutsch: Theorie der auswärtigen Wechselkurse. Übersetzung von Stöpel. Neudruck Berlin 1915). - Eine dogmengeschichtliche Übersicht bei H. Leroi Fürst: Die Entwicklung der Lehre von der Zahlungsbilanz im 19. Jahrhundert bis 1873. Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik. Band 56. - Cassel: Das Geldwesen nach 1914. Leipzig 1925.

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