. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 80 bis 82

80 Die Lehre von der Übereinstimmung zwischen Erzeugung und Verbrauch

Wenn auch, wie wir sahen, Malthus auf den Grundlagen der klassischen Nationalökonomie die Krisen sozusagen als Folgen einer organischen Störung, also das Ergebnis von Unstimmigkeiten, welche dem Organismus der Volkswirtschaft anhaften, auffasste, so entsprach der allgemeinen Auffassung der klassischen Schule doch eine andere Anschauung. Es erschien ihr die Behauptung, dass es ein Übermaß an Waren im allgemeinen geben könne, absurd. Können doch die menschlichen Bedürfnisse nie vollkommen befriedigt werden und solange sie es nicht sind, muss es doch eine Nachfrage nach Gütern geben. Deshalb, meinte auch diese Auffassung, widerspreche der Gedanke einer allgemeinen Überproduktion den Grundtatsachen des Wirtschaftslebens. Wurde doch die Überproduktion als ein Zuviel an Gütern hingestellt und dies könne es, solange Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, nicht geben.

Aber noch aus einem anderen Grunde musste, wie es insbesondere Ricardo hervorhebt, die Überproduktion als etwas Unmögliches betrachtet werden. Die Güter werden ja nicht mit Geld, sondern im Endresultate mit Waren und Diensten bezahlt. Die Lüftung des Geldschleiers steckt hinter dieser Auffassung, welche das Geld bloß als Mittel des Tausches betrachtet und deshalb es nicht zugehen werden kann, dass Waren deshalb unabsetzbar bleiben, weil es an Geld mangelt, sie zu kaufen.

Diese Ansicht der Volkswirtschaft führt zu der Behauptung, es könne keine ständige Unstimmigkeit zwischen Erzeugung und Verbrauch bestehen. Wohl aber wird durch sämtliche Anhänger dieser Lehre bereitwillig zugestanden, dass vorübergehende Störungen aus der Verhältnislosigkeit von Erzeugung und Verbrauch entstehen können.

Sowohl Ricardo, wie Senior und andere Vertreter dieser Lehre geben dies ohne weiteres zu. Doch das Wesen der Sache wird darin gesehen, dass dieser Überfluss an Waren bloß etwas Partielles und Vorübergehendes ist. Denn eben das Zusammenwirken der wirtschaftlichen Grundkräfte müsse, meint man, im Verlaufe der Zeit das Gleichgewicht wieder herstellen, weil eben einem Zuviel an einer Stelle ein Zuwenig an anderer Stelle entspricht und Erwerbsgeist, sowie Wettbewerb dafür sorgen, dass die Übereinstimmung wieder hergestellt werde.

Den entschiedensten Ausdruck hat dieser Auffassung Say in seiner Theorie der Absatzwege (théorie des débouchées) verliehen. Jede Produktion wird bei Say ausgeführt, bedeute gleichzeitig einen Verbrauch, denn die Erzeugung fordert Rohstoffe und Arbeit und bringt also Nachfrage nach diesen hervor. Diese Nachfrage richtet sich entweder direkt auf Waren, oder indirekt, indem sie Nachfrage nach Arbeitskräften ist, welche aber wiederum Waren für ihren Lebensunterhalt brauchen. So könne - abgesehen von zeitweiligen Störungen - kein ständiges Missverhältnis zwischen Erzeugung und Verbrauch bestehen.

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Scharf wird diese Auffassung auch von James Mill vertreten. Es wird ausgeführt, dass die Erzeugung eine Wirkung des Verbrauches ist, da die Erzeugung selbst den Markt für die Erzeugnisse schafft, indem sie Güter erfordert und zugleich Kaufkraft schafft. Das Geld verkörpert nur diese Kaufkraft, die Kaufkraft selbst besteht jedoch eben darin, was erzeugt wird, denn die ganze Volkswirtschaft ist ein gegenseitiger Austausch von Gütern. Angebot und Nachfrage bedingen sich also gegenseitig und deshalb sei eine dauernde Überproduktion überhaupt nicht denkbar, denn sie stehe dem Wesen der Volkswirtschaft im Widerspruch.

Auf den Ideenkampf zwischen Say und Malthus können wir hier nicht eingehen. Es soll nur bemerkt werden, dass besonders der französische Zweig der klassischen Gefolgschaft sich natürlich auf den Standpunkt von Say stellte. Nur selbstverständlich ist dies für jene Nationalökonomen, welche wie Carey und Bastiat die Harmonie der Wirtschaftskräfte verherrlichen und so schon infolge ihrer Grundeinstellung alles zurückweisen mussten, was wie Überproduktion oder Unterverbrauch mit dieser Grundanschauung im Widerspruch stand.

81 Die Quantitätstheorie als Krisentheorie

Die Lehre von der Übereinstimmung zwischen Erzeugung und Verbracuh vernachlässigt das Wesen der Geldwirtschaft vollständig. Mit Recht meint Stucken, sie behandele die Volkswirtschaft bei entwickelten Geldverkehr, als ob sie gegenüber der naturalen Tauschwirtschaft keine Abweichung bezüglich der Austauschverhältnisse aufweisen würde (R. Stucken: Theorie der Konjunkturschwankungen. Jena 1926. Seite 4).

Merkwürdigerweise hat nun gerade ein Teil jener Theoretiker, welche die Behauptung von Malthus bezüglich der Möglichkeit einer allgemeinen Überproduktion ablehnte und sich derart der von Stucken hervorgehobenen Vernachlässigung schuldig machte, aus der Geldlehre heraus, freilich in anderer Richtung, eine Erklärung für die Krisen gefunden.

Sowohl die einfache Quantitätstheorie, als auch das currency principle boten infolge ihrer Einstellung auf den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisgestaltung einen Hebel für die Erklärung der möglichen Überspannung des Wirtschaftslebens, denn die Geldvermehrung führt zur Preissteigerung und hierdurch zur Anfachung der Produktion, welche dann Überspannung und Überspekulation hervorruft. Hierbei wird auch an die Rolle des umlaufenden Kapitals gedacht, welches durch die Geldvermehrung erhöht, durch das Aufhören derselben hingegen als vermindert erscheint und so eine Immobilisierung der Wirtschaft heraufbeschwört.

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Die Geldmengenlehre als Krisenlehre spaltet sich in zwei Zweige. Die eine knüpft an die Goldproduktion an und erklärt den schließlich zur Krise führenden Aufschwung durch die Zunahme der Goldproduktion, welche die Preise steigert. Der andere Zweig legt mehr auf die Ausgabe von Papiergeld und Banknoten Gewicht. Doch das Prinzip bleibt sich gleich. Die Überspannung des Wirtschaftslebens wird aus der Vermehrung des Geldes, bzw. der Umlaufmittel erklärt.

Die erste Richtung hat Sombart stark vertieft, indem er die Vorgänge am Anlagenmarkt und die Zusammenballung von Privatvermögen in die Erklärung einbezog und so die Umbildungen am Kapitalmarkte hervorhob. Die Berücksichtigung der Zinsfußveränderungen finden wir schon bei den älteren Anhängern dieser Krisenerklärung, und Wicksell hat sie durch seine Theorie von der Diskrepanz zwischen dem natürlichen und dem Geldzinsfuß weitergebildet. Solange der Geldzinsfuß mit dem natürlichen Zinsfuß übereinstimmt, könne, meint Wicksell, der Zinsfuß die Preise nicht beeinflussen, denn der natürliche Zinsfuß ist jener Zins, welcher der gegeben Lage der Güterwelt entspricht und besagt demnach, dass bei diesem Leihpreise die ausgeliehenen Summen die gesuchten Waren bei den gegebenen Preisen auch tatsächlich am Markte vorfinden. Nimmt aber infolge der Geldfülle der Zinsfuß ab, so wird hierdurch die Geldbeschaffung leichter und es tritt vermehrte Nachfrage nach Waren und Leistungen auf, welche die Preise steigert. Auch Mises gibt eine ähnliche Erklärung, indem er den Zusammenhang zwischen Zinsfuß und Preisgestaltung mit der Länge der Produktionsperiode hervorhebt. Durch den zu niedrigen Zinsfuß, welcher durch Geldfülle heraufbeschworen wird, werden längere Produktionsperioden gewählt, welche zunächst zwar rentabel scheinen, infolge der Verknappung der zum Unterhalte der Arbeiter nötigen Unterhaltsmittel hingegen ins Stocken geraten und dann einen Teil des in allzu weitläufigen Produktionsperioden investierten Kapitals gefährden. Denn will sich der Zinsfuß wieder den realen Verhältnissen der Güterwelt anpassen, so muss der Zins steigen und den gestiegenen Zins können die erwähnten längeren Produktionsumwege nicht ertragen. Auch bei Cassel und Irving Fisher spielt der Zinsfuß in Verbindung mit der Geld- bzw. Kreditvermehrung eine wichtige Rolle.

Während die älteren Quantitätstheoretiker, die Currencytheoretiker inbegriffen, wie Bergmann nachwies, wenigstens zum Teil, die Rolle der Warenseite bei Entstehung der Krisen anerkannten, hat die sogenannte neue amerikanische Currencyschule die Geldseite bei der Krisenerklärung ganz in den Vordergrund gerückt; d. h. genauer die Kreditseite, denn es wird die Ausdehnung des Kredites durch die Banken als die Ursache der Preissteigerung angesehen, welche zur Krise führt. Die Schaffung zusätzlicher Kaufkraft durch die Banken wird hier zur Grundlage der Krisenerklärung, denn in dieser wird der Grund für jene Preiserhöhungen erblickt, welche zur Überspannung des Wirtschaftslebens führt. Gleichzeitig wird besonders von Bellerby, aber - zwar weniger einseitig - auch von vielen anderen Theoretikern, so von Irving Fisher, Hawtrey, Keynes und anderen eine gesunde Notenbankpolitik als der Hebel einer Vermeidung der Krisen angesehen.

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Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Quantitätstheorie eine äußerst wichtige Seite des Krisenproblems herausgearbeitet hat. Es bleibt dies ein unvergängliches Verdienst derselben. Doch hat sie den Hang, diesen Faktor zu stark, ja ausschließlich in Betracht zu ziehen und so das Problem in einer ungebührlichen Weise zu vereinfachen.

82 Die Weiterentwicklung der Überproduktionstheorie

Die alten Krisentheorien aus der Zeit der klassischen Nationalökonomie hatten einen gemeinsamen Fehler. Sie waren zu allgemein gefasst und zu wenig auf die Vielseitigkeit des kapitalistischen Wirtschaftslebens eingestellt. Sie gewahrten sowohl in der Überproduktion, wie auch im Unterverbrauch wichtige Tatsachen, Momente, welche auch heute noch bei der Erklärung der Wirtschaftskrisen herangezogen werden; doch sahen sie diese nur in ihrer Allgemeinheit. Sie fehlten bei der Erklärung der Krisen auch darin, worin ihr Fehler überhaupt liegt, nämlich in der übermäßigen Vereinfachung des Problems. Deshalb war auch die gegebene Erklärung so unbefriedigend. Allgemeine Übererzeugung und allgemeiner Unterverbrauch sind Extreme, welche noch dazu mit der Grundansicht über das Wesen der Wirtschaft, wie wir sahen, schwer in Einklang zu bringen waren.

Nur ein tieferes Eindringen in das Wesen der kapitalistischen Produktion, der kapitalistischen Finanzierung und des kapitalistischen Marktes konnte den Gedanken der Überproduktion zu einer Lehre ausgestalten, welche eine befriedigendere Erklärung für die Krisen zu geben vermag. Es mussten mit einem Wort die wesentlicheren Merkmale der kapitalistischen Produktion studiert werden, um einen tieferen Zusammenhang zwischen Überproduktion und Krisen herauszuarbeiten. Das Wesen der Überproduktion selbst musste näher untersucht werden.

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Diese Arbeit leisteten vor allem Spiethoff und Aftalion. Durch eine eingehende Analyse des kapitalistischen Erzeugungsprozesses hat Spiethoff dargetan, dass es sich keineswegs um eine allgemeine Überproduktion handelt. Noch weniger um eine Überproduktion an unmittelbaren Verbrauchsgütern, welche ja rasch verzehrt werden und so eine längere Stockung auch kaum heraufbeschwören könnten. Die Überproduktion liegt vielmehr, meint Spiethoff, bei den Produktionsmitteln, d. h. bei den Produktionsanlagen und bei den ständigen Gebrauch zulassenden übrigen Anlagen. Eine Überdimensionierung des reproduktiven Konsumes, wie sich Spiethoff ausdrückt, macht also das Wesen der Überproduktion aus. Aftalion hinwiederum hebt die Produktionsumwege und die Länge des Zeitraumes hervor, welcher verfließt, bis neue Anlagen fertiggestellt werden. Die Anlagen sind jenem Standes des Wirtschaftslebens angepasst, in welchem die Erbauung beginnt. Wenn sie ihrer Natur entsprechend erst später - nach Beendigung - ihre Produkte auf den Markt bringen, so haben sich oft hier schon die Verhältnisse geändert und es zeigt sich, dass eine Überdimensionierung der Produktion vorliegt.

Auch hat Aftalion die Schwierigkeit aus dem Wege geräumt, welche darin liegt, dass die Überproduktionslehre eine ständige Unterkonsumtion annehmen muss. Er hat mit Zuhilfenahme der Grenznutzenlehre gezeigt, dass der Wert der erzeugten Güter ständig mit ihrer Menge wechselt und bei einer übermäßigen Erzeugung rasch abnimmt, woraus die Unmöglichkeit folgt, sie zu rentablen Preisen nach der Überspannung der Marktaussichten abzusetzen, während nach Verminderung der Produktion der Grenznutzen wieder steigt.

Die Betrachtung der Überproduktion auf einer solchen erweiterten Grundlage ließ überhaupt neuere Seiten des Problems hervortreten. So vor allem das Moment der Überkapitalisierung. Bouniatian hat diese Moment am schärfsten herausgearbeitet und zur Grundlage seiner Krisenerklärung gemacht. Er sieht das störende Moment des Wirtschaftsverlaufes darin, dass die Volkswirtschaft zu Zeiten des guten Geschäftsganges zu stark mit Kapital ausgerüstet wird. Produktionsanlagen werden in unverhältnismäßigen Maße geschaffen, deren Produkte dann durch die nicht Schritt haltende Konsumtion nicht aufgenommen werden können. Die Folge hiervon müsse, meint Bouniatian, eine Dekapitalisation, d. h. eine Entwertung des so angelegten Kapitals sein, denn schließlich muss sich doch die Bewertung des angelegten Kapitals der Rentabilität desselben anpassen. Dieser Gedanke spielt auch bei Hobson eine wichtige Rolle, indem er übrigens die Reversseite Bouniatianischen Gedankens vertritt, wenn er, anstatt in der Überkapitalisation, in einem unverhältnismäßigen Sparen die Ursache der Krisen sucht. Das Moment der Entwertung des Kapitals hebt er so stark hervor, dass er direkt von einem Abschreiben von in der Aufschwankungsperiode erreichten Werte der Kapitalanlagen spricht. Auch bei Beblen wird die Entwertung des Kapitals hervorgehoben und auch Lexis zieht dieses Moment heran. Auch Liefmanns Krisentheorie stützt sich auf die Entwertung des Kapitals, jedoch in Verbindung mit dem technischen Fortschritt, welcher durch Einführung neuer Methoden die vorhandenen Investitionen oft vor ihrer Amortisation entwertet. Das Moment der Überkapitalisation zieht auch er in Betracht. Natürlich liegt der Schwerpunkt in der Lehre von der Überkapitalisation beim fixen Kapital, also bei den Produktionsanlagen.

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Im Grundgedanken steht auch jene Gruppe der Überkapitalisationstheorie nahe, welche die Krisenursache in einer Unverhältnismäßigkeit zwischen den in der Aufschwungperiode in Aussicht genommenen und den später möglichen Gewinnen sucht. Dieser Gedanke läuft nämlich darauf hinaus, dass im Aufschwung die Kapitalisierung infolge der hohen Preise und hohen Gewinnaussichten zu einem zu hohen Werte erfolgt, welcher sich dann bei fallenden Preisen als unhaltbar erweist. Die Momente der Überkapitalisierung und der Überproduktion stecken auch hinter dieser Erklärung, denn schließlich ist es die Überdimensionierung der Produktionsanlagen, sowie die dadurch verursachte Übererzeugung, welche das Fallen der Preise heraufbeschwört, welche dann wiederum die Dekapitalisation erfordert und den Zusammenbruch des Aufschwungs in einer Krise heraufbeschwört. Beblen und Lescure sind die Hauptvertreter dieser Richtung.

Nahe an diese Auffassung lehnt sich auch jene Ansicht an, welche, wie Hull, das Anwachsen der Produktionskosten während der Aufschwungperiode hervorhebt, denn diese sind für die Abnahme der Gewinne ebenso maßgebend, wie die fallenden Preise der hergestellten Produkte. Auch Aftalion berücksichtigt diese Moment.

Mit dem Profite, bzw. mit der Abnahme der Profitrate, wurde die Krisentheorie schon durch Stuart Mill in Verbindung gebracht. Die sinkende Profitrate, sagt Mill, treibt die Unternehmer in verwegene Spekulationen und riskante Unternehmungen, um sich doch Gewinnmöglichkeiten für ihr Kapital zu sichern. Auch die Krisenlehre von Marx ist zum Teil auf dieses Moment aufgebaut. Die sinkende Profitrate erreicht trotz der verzweifelten Versuche, eine lohnende Verwendung für das sich ansammelnde Kapital zu finden, zeitweilig einen Grad, bei welchem ein Teil des hinzuwachsenden Kapitals nicht mehr lohnende Verwendung findet. Hierdurch tritt die Krise ein, welche eine Entwertung des vorhandenen Kapitals im Gefolge hat, die das einzige Mittel ist, den Fall der Profitrate für eine Zeit aufzuhalten.