. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 7 bis 10

II Das Wertproblem

7 Der Inhalt des Wertproblems

Der wirtschaftlichen Tätigkeit liegt ein Interesse der Menschen an ihrer Umgebung zugrunde. Dies haben schon die Alten erkannt, und so hat Aristoteles jenes Problem gestreift, welches seitdem als das Wertproblem unsere Wissenschaft beschäftigt. Es soll Ursprung und Wesen jener Beachtung erklären, welche wir den Gütern entgegenbringen.

Schon Aristoteles entging es nicht, dass dieses Interesse sich in einer doppelten Weise äußert. Einerseits steht es mit der individuellen Verwendung der Güter in Zusammenhang, andererseits hängt es mit gesellschaftlichen Tatsachen zusammen. So finden wir schon die Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert. Der Gebrauchswert bringt jenes Interesse zum Ausdruck, welches unmittelbare Verwendung der Güter betrifft, während der Tauschwert mit jener Bedeutung zusammenhängt, welche wir den Gütern mit Rücksicht auf ihre Austauschbarkeit beimessen.

Gebrauchswert und Tauschwert sind keineswegs gleich leicht zu fassen. Während nämlich die Wurzel des ersteren tief in der Seele des Menschen verankert ist, liegt der Tauschwert mehr an der Oberfläche. Er tritt uns Tag für Tag in den Tauschgeschäften entgegen und dringt sich uns desto mehr auf, je mehr unser Leben auf Tauschvorgänge aufgebaut wird. Hierin liegt der Grund, weshalb das Wertproblem lange Zeit hindurch nur als Tauschwertproblem seine Lösung fand, obzwar eine dunkle Ahnung nie verloren ging, dass hinter dem Tauschwerte noch etwas anderes, ein unmittelbares, vom Tausche unabhängiges Interesse an den Gütern verborgen liegt.

8 Die Grundlagen der objektiven Werttheorie

Das Wertproblem wird schon von den Kanonisten, noch mehr aber von den älteren englischen Schriftstellern als eines Grunderscheinung des Marktes betrachtet. Das Wesen der Frage schien hierin zu liegen, weshalb die Güter in bestimmten Verhältnissen gegeneinander ausgetauscht werden? Zwei Antworten waren naheliegend.

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Erstens der Gedanke, dass jenes Opfer, welches die Erzeugung jedes Gutes verursacht, hierfür bestimmend ist. Er wurde durch die Erwägung gestützt, dass in der nüchternen Sphäre der Wirtschaft niemand gewillt ist, ohne Gegenleistung ein Opfer zu bringen. Somit müsste, meinte man, der Wert der Güter durch ihre Herstellungskosten bestimmt werden. Schon früh (Ende des 17. Jahrhunderts) sucht Petty das Wesen dieser Kosten im Arbeitsaufwande, welchen die Herstellung der Güter verursacht. Auch schon von Petty bemerkt, wird die Bedeutung der Landnutzung von Cantillon (Anfang des 18. Jahrhunderts) hervorgehoben.

Den zweiten Anknüpfungspunkt bot das Wesen des Marktes, das sich Gegenüberstehen von Käufern und Verkäufern. Der Wert als Austauschverhältnis gefasst, zeigt sich als Ergebnis der Aufeinanderwirkung der verkauften und angebotenen Menge der Güter. Locke (Ende des 17. Jahrhunderts) spricht diesen Gedanken klar aus und Law setzt dann an Stelle des unbestimmten Ausdrucks von Locke „vent“ den seither gebrauchten Ausdruck „Nachfrage“. So steht die Lehre vor und, dass Angebot und Nachfrage, indem sie sich ins Gleichgewicht setzen, den Wert bestimmen.

9 Die klassische Werttheorie

Durch die klassische Wertlehre werden die zwei objektivistischen Elemente der früheren Werttheorie miteinander organisch verbunden. In den Mittelpunkt gelangen die Produktionskosten, denn sie bringen die Abhängigkeit des Menschen von der Natur, ihrer Kargheit und von ihren Widerständen zur Geltung. Die Produktionskosten bestimmen, meint Smith - in Anlehnung an Cantillon, der von einem inneren Werte der Güter spricht, - den natürlichen Wert. Dieser ist sozusagen das herauskristallisierte objektive Element des Wertes. Er kann sich jedoch nicht genau durchsetzen, weil die Marktlage fortwährend wechselt und so das Austauschverhältnis der Güter unablässig Schwankungen unterworfen ist. So muss der tatsächliche Tauschwert dem jeweiligen Verhältnis von Angebit und Nachfrage Rechnung tragend vom natürlichen Werte abweichen.

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Den weiteren Inhalt der klassischen Werttheorie bestimmt die Auslegung des Begriffes der Herstellungskosten. Smith, dessen Blick stets auf das Ganze des Zusammenhanges der gesellschaftlichen Wirtschaft gerichtet ist, sieht das Wesen der Produktionskosten in der Summe jener Aufwendungen, welche nötig sind, um ein Gut tauschbereit zu machen. Er betont zwar, dass das ursprüngliche Wesen der Kosten in einer Summe von Arbeitsaufwendungen, in der Überwindung jener Schwierigkeit liege, welche die Herstellung der Güter dem Menschen verursacht. Dies geschieht aber in erster Reihe, um gegenüber den Merkantilisten, die auf den Geldreichtum zu viel Gewicht legen, die wertbildende Rolle der Arbeit zu betonen. Smith beeilt sich auch hinzuzufügen, dass die Kosten der Herstellung bloß auf einer primitiven Stufe sich allein in aufgewendete Arbeitsmühe auflösen lassen, während später auch andere Elemente der Kosten entstehen, so der Zins für das aufgewendete Kapital und die Rente, welche für die Benutzung des Grund und Bodens gezahlt werden muss. Seine Kostenelemente sind demnach jene Aufwendungen, ohne welche die Produktion unter Beibehaltung der Voraussetzungen der heutigen wirtschaftlichen Organisation nicht möglich ist.

Das in der Arbeitsaufwendung bestehende Opfer steht in der klassischen Wertlehre als Kostenelement unbestritten, und nur die Einfügung des durch die Kapitalnutzung verursachten Opfers gibt ihr schwere Arbeit. Senior schien die Lösung gefunden zu haben, indem er neben das Arbeitsopfer das in der Abstinenz bestehende Opfer stellt, welches zum Ausdruck bringen sollte, dass die Ansammlung von Kapital als ein der Arbeit koordiniertes Opfer zu betrachten sei. Hierdurch schien das Ziel, die Produktionskosten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, erreicht zu sein, denn beide, Arbeit und Abstinenz, sind Opfer.

Das Wesen des Kostenbegriffes wurde durch die Theorie Careys nicht berührt, als er den Satz aufstellte, nicht die Produktionskosten, sondern die Reproduktionskosten bestimmen den Wert. Diesen Satze liegt die Überlegung zugrunde, dass man, wenn man die Güter bewertet, dies nicht auf Grund ihrer Vergangenheit tut, sondern nach dessen Verhältnissen der Gegenwart handelt und deshalb sich danach fragt, was die Erzeugung eines Gutes kosten würde. Ferrara und auch Dietzel vertreten das Kostengesetz als Wertgesetz in dieser Form, doch hat Marshall auf die geringe Bedeutung dieser Abänderung der Kostenwertlehre hingewiesen und Loria sich mit der Begründung gegen sie gewendet, der Wert können nicht durch etwas rein Hypothetisches, also durch einen reine Möglichkeit bestimmt werden.

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10 Die Arbeitswerttheorie

Ricardo, den großen deduktiven Denker der klasssichen Schule, konnte der unbestimmte, weil aus verschiedenen, nicht gleichartigen Elementen zusammengesetzte Kostenbegriff seiner Zeitgenossen nicht befriedigen. Er sucht die Produktionskosten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Hierzu verhilft ihm zunächst seine unten zu besprechende Rententheorie, welche die Grundrente nicht als Kostenelement sondern als Folge der Wertbildung erscheinen lässt. Weniger Glück hat er mit dem Zinse, dessen Ausgestaltung ihm nicht gelingen wollte. Er hilft sich aber mit der Annahme, dass, obzwar der Kapitalaufwand infolge verschiedener Lebensdauer der Kapitalgüter für die Wertbildung nicht unwesentlich sein kann, das wirkliche Schwergewicht des Wertes doch im Arbeitsaufwande liegt. So kommt er zu seinem Satze, die Güter tauschen sich im allgemeinen in Verhältnisse der in ihnen steckenden Arbeitsmenge aus.

Doch Ricardo bleibt sich dessen voll bewusst, dass dieser Satz streng genommen nur dann gilt, wenn nichts als Arbeit auf ein Gut verwendet worden ist, und zwar für gleiche Zeitdauer. Die Arbeit ist für ihn also nicht allein wertbildend und die Arbeitswerttheorie bedarf einer Ergänzung durch die Berücksichtigung der Rolle des Kapitals, welche Ergänzung jedoch nicht gelingen wollte.

Nicht so vorsichtig sind James Will und Mac Culloch. Sie unterschätzen die von Ricardo betonte Schwierigkeit und unternehmen es, alle Elemente der Wertbildung, auch das Kapital selbst in Arbeit aufzulösen. Jenes Kostenelement, welches in der Kapitalvergütung liegt, wird von ihnen als Entlohnung früherer Arbeit, nämlich jener Arbeit betrachtet, welche die Herstellung der Produktionsmittel verursacht hat. So fassen sie das Kapital als vorgetane Arbeit und kommen dazu, einen einheitlichen Kostenbegriff zu gewinnen. Die vorsichtige Fassung Ricardos wird fallen gelassen und die Produktionskosten werden einfach als Arbeit betrachtet.

Gierig musste dieser Kostenbegriff von den Sozialisten aufgegriffen werden. Er bot ihnen beste Stütze für ihr System, welches gegen den Kapitalbesitz gerichtet ist. Die Güterkosten sind für sie dem Wesen nach nichts als vorgetane Arbeit. Wenn sich trotzdem auch andere Elemente in den Wert der Güter einschleichen, so ist dies, lehren sie, nur eine Folge der heutigen Eigentumsordnung und des kapitalistischen Marktes.

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Diese Anlehnung der sozialistischen Wertlehre an die Arbeitswerttheorie vollzog Robbertus. Schon er behauptet, es gebe außer der Arbeit in der Entstehungsgeschichte der Güter nichts anderes, was noch „in solcher Beziehung zum Menschen stände, dass man davon sagen könnte, es ‚koste‘ ihm die, um sich ein Gut anzueignen“. Auch die Materialien sind nichts „als das Gut selbst auf irgendeiner seiner Stufen der Vollendung“ und die Werkzeuge und Maschinen sind durch Arbeit erzeugt und ihre Abnutzung ist nichts als ein Teil jener Arbeit, welche die Werkzeuge und Maschinen selbst gekostet haben. Und Marx baut diese Lehre weiter, indem er sie jedes persönlichen Elements entkleidet und von der „gesellschaftlichen Arbeit“, also von der Arbeit als Teil der „von der Gesellschaft ausgegebenene Gesamtsumme von Arbeit“ spricht. Diese gesellschaftliche Arbeit ist „die gemeinsame gesellschaftliche Substanz aller Waren“. Aller Wert ist sonach vergegenständlichte, „kristallisierte gesellschaftliche Arbeit“. Das Maß dieser Arbeit aber ist die Dauer der Arbeitszeit. So setzt Marx der Arbeitswerttheorie, welche er bei J. Mill und Mac Culloch fertig vorfand und bloß straffer zu fassen brauchte, die Krone auf, indem er in der Arbeit nicht nur das Maß, sondern die Substanz des Wertes erblickt.

Die Arbeitstheorie bietet die Grundlage für die Werttheorie. Schon von Thompson angedeutet, hat sie Marx zu einem der Grundpfeiler seiner Theorie gemacht. Sie beruht auf dem Satze, dass der Wert der die Arbeit durch eine Arbeitsmenge, nämlich durch jene, welche zum Unterhalte des Arbeiters nötig ist, bestimmt wird. Da jedoch in der kapitalistischen Wirtschaft der Arbeiter zu einer längeren Arbeitszeit gezwungen wird, als sein Unterhalt erfordern würde, erzeugt er auch mehr und diese über die zu seinem Unterhalte nötige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit lässt den Mehrwert entstehen, welcher infolge der kapitalistischen Organisation dem Unternehmer als Profit in die Tasche fließt. Somit beruht die ganze Ausbeutungstheorie des wissenschaftlichen Sozialismus - wir werden sie unten eingehend behandeln - auf der Arbeitswerttheorie. Dass jedoch die Ausbeitungstheorie auch auf Grund einer anderen Wertlehre aufzubauen ist, haben insbesondere Tugan-Baranowsky und Cornélissen nachgewiesen.

Turan-Baranowsky behauptet mit Recht, es sei ein großes Missverständnis, in der Marxschen Wertlehre eine logische Weiterbildung der Ricardoschen Lehre zu erblicken (Tugan-Baranowsky: Theoretische Grundlagen des Marxismus, Leipzig 1905. S. 159). Wir mussten sie trotzdem aufeinander folgen lassen, um die Arbeitswerttheorie in ihrer ganzen Entwicklung überblicken zu können.

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Diesmal geht es hier weiter zu den Herstellungskosten.