. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 15 bis 16

15 Der Kampf zwischen der alten und neuen Werttheorie

Die Anhänger der klassischen Werttheorie waren natürlich keineswegs gewillt, das Feld zugunsten der subjektiven Werttheorie zu räumen. Schien ja die neue Wertlehre alles zu verwerfen, was die Klassiker bezüglich des Wertes gelehrt haben, indem sie behauptete, nicht die Produktivgüter, sondern die Genussgüter seien der Ausgangspunkt der Wertbildung. Der Ton, in welchem durch einzelne Anhänger der subjektiven Werttheorie diese als der Ausweg aus der bisherigen Dunkelheit bezüglich des Wertes gepriesen wurde, war auch nicht danach angetan, Stimmung für die neuen Gesichtspunkte bei jenen Gelehrten zu machen, die sich nicht ohne weiteres darein fügen wollten, anzuerkennen, dass alles, was sie bisher gelehrt haben, falsch gewesen sei.

Die alte Werttheorie fand in diesem Kampf in Dietzel in Deutschland und in Mac Vane in den Vereinigten Staaten ihre Hauptvertreter. Dietzel warf der Grenznutzenlehre hauptsächlich vor, sie vernachlässige den Unterschied zwischen Seltenheitsgütern und reproduziblen Gütern. Sie gäbe eigentlich nur eine Erklärung für die ersteren, bedeute aber einen Rückschritt in der Erklärung der Wertbildung der beliebig vermehrbaren Güter. Mac Vane hingegen erhebt den Vorwurf, die Grenznutzentheorie verwische den Unterschied zwischen Kosten und Nutzen, indem sie die Produktionskosten als entgangenen Nutzen auslegt. Ihr Kostenbegriff sei der Privatwirtschaft entlehnt und könne sich nicht auf die Höhe des volkswirtschaftlichen Gesichtspunktes emporschwingen. Denn volkswirtschaftlich betrachtet müssten die Kosten in jenen Opfer gesucht werden, welches die Produktion dem Menschen auferlegt.

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Die Kontroverse führte langsam zu einer Umdeutung des Kostenbegriffes. Schon Dietzel kam im Laufe des Streites dazu, den Begriff der Produktionskosten in jener Nutzeneinbuße zu suchen, welche die Verwendung der Güter für einen bestimmten Zweck durch ihren Entzug von anderen Bestimmungen verursacht. Auch die amerikanischen Schriftsteller kamen ebenfalls mehr oder weniger zu einer ähnlichen Lösung, wobei aber das Opfer, welches die Produktionskosten bedeuten, zumeist nicht ausschließlich als Nutzenentgang aufgefasst wurde, indem man trachtete, das Arbeitsopfer in irgendeiner Weise als zweites Element der Kosten einzufügen. Hierbei wurde der Kostenbegriff als Gegensatz des Nutzens gefasst und disutility genannt. Der Fortschritt dieser Auffassung lag darin, dass nun auch dieses Kostenelement als unter dem Grenzgesetze stehend betrachtet wurde, und so der Grenzgedanke auch von dieser Seite her als entscheidend angesehen wurde.

Unwidersprochen blieb diese Umdeutung des Kostenbegriffes nicht. So meint Stolzmann - ganz ähnlich wie Mac Vane -: „Man fragt sich wirklich, was da für den Begriff der Kosten überhaupt nocht übrigbleibt. Das ist keine Erklärung der Kosten mehr, das ist ihre begriffliche Vernichtung, die gänzliche Überwucherung der Kosten durch die Nutzwertbetrachtung.“ (Der Zweck in der Volkswirtschaft. Berlin 1909. Seite 703)

Auf dieser Grundlage wurde dann die Schlichtung des Streites zwischen alter und neuer Werttheorie in jener Richtung gesucht, welche schon Jevons angedeutet hat. Es wurde nämlich das Wertgesetz so ausgelegt, dass Nutzen und Kosten bei der Wertbestimmung sich die Waagschale halten und dass es eigentlich gleichgültig sei, ob wir den Grenznutzen oder das Grenzleid, als wertbestimmend ansehen, denn beide müssen eben als Ausfluss der Wirtschaftlichkeit zusammenfallen. Die Ausgleichung beider sei dafür entscheidend, wie weit wir unsere Anstrengungen zur Erlangung von Gütern fortetzen. Marshall vergleicht diesen Prozess der Wertbildung mit den beiden Klingen einer Schere und ganz ähnlich meint Seligman das Zusammenwirken von Nutzen und Kosten sei dasselbe, wie jenes von Hammer und Platte, auf welche der Schlag mit dem Hammer geführt werden muss um einen Ton zu erzeugen.

Böhm-Bawerk hat diesen Versuchen gegenüber, das Kostenprinzip zu koordinieren, darauf hingewiesen, dass Nutzen und Produktionsopfer sich bloß in der isolierten Wirtschaft oder beim freien Arbeiter (der nämlich nur so lange arbeitet als ihm beliebt) ins Gleichgewicht setzen können, während - und dies wird auch von einem amerikanischen Verfechter der eben geschilderten Auffassung, nämlich von Seager anerkannt - in der Volkswirtschaft, wo Arbeiter keinen direkten Einfluss auf ihre Arbeitszeit haben, dieses Gleichgewicht sich höchstens in allergröbsten Zügen durchsetzen kann.

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So entstand eigentlich mit der Disutilitiy-Theorie eine neue Kostentheorie, welche, falls die disutility als reines Arbeitsopfer, als Arbeitsleid aufgefasst wird, einer subjektiven Arbeitswerttheorie gleichkommt. Diese Arbeitswerttheorie trägt den Stempel der Grenznutzenlehre insofern, als sie das Arbeitsleid als Grenzleid (marginal disutility) den Wert bestimmen lässt. Doch ging ein großer Teil der amerikanischen Schriftsteller, wie oben angedeutet wurde, nicht so weit, da sie neben dem Arbeitsleid auch in der Form als sacrifice oder unter einem anderen Titel auch die Nutzeneinbuße als Kostenelement einführten. Selbst Mac Vane gab jenen Standpunkte auf, wonach ausschließlich das Arbeitsleid den Inhalt der Kosten ausmache und stellte demselben in einer ziemlichen Ähnlichkeit mit Senior das Warten (waiting) gewissermaßen als Zeitopfer zur Seite.

In diesen Streit eingreifend, versuchte Schumpeter nachzuweisen, dass man mit dem Momente der Arbeitsmühe bei der Erklärung der Kosten nicht auskommen könne. Auch wies er darauf hin, dass der Grenzaufschub, wie ihn das waiting ausdrücke, schließlich doch auf einen Nutzenentgang hinauslaufe. Schließlich löse sich so die disutility doch einheitlich in einem Nutzenentgang auf, da jenes Element derselben, welches die Arbeit in der Form von Arbeitsleid in diesem Begriff vertreten sollte, doch nur als Wert der Arbeit und deshalb nur auf jener Grundlage aufgefasst werden kann, welche dem zweiten Element der disutility, der Nutzeneinbuße, entspricht. Ganz ähnlicher Ansicht ist übrigens auch Amonn. „Vor allem,“ meinte er, „bestehe zwischen den beiden Motiven, dem ‚Arbeitsmotiv‘ und dem ‚Nutzenmotiv‘ gar kein so wesentlicher Unterschied,“ (Vergleiche seine Kritik der Wieserschen Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft im Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Band 53. (1925), Seite 308) denn Arbeitskraft sei negativer Nutzen, wodurch das Arbeitsmotiv mit dem Nutzmotiv auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden könne. Beides umfasst seiner Ansicht nach der Begriff Wohlfahrt.

Ja, wie wir sahen, es musste die Zurechnungslehre selbst zu einer Anerkennung der Rolle der Produktionskosten bei der Wertbildung führen, denn sowohl das Substitutionsprinzip als auch Wiesers Satz von der allgemeinen Nutzgrenze beruhen auf der gegenseitigen Vergleichung der verschiedenen Verwendungsarten der Güter, welche Vergleichung durch das Kostenprinzip vermittelt wird. Dieses verhindert, dass einzelne Güter oder Gütermengen einer Verwendung zugeführt werden, welche einen geringeren Nutzen ergibt, als der allgemeinen Nutzgrenze entspricht. Das Kostengesetz erhielt also bei tieferer Durchführung der neuen Werttheorie in derselben selbst eine wichtige Rolle. Daran wurde hierdurch freilich nichts geändert, dass die Produktionskosten nicht als Endursache, sondern als ein Zwischenglied im Wertbildungsvorgang erscheinen, und zwar unmittelbar nur bei den ersetzbaren Gütern. Immerhin musste hierdurch der Gegensatz zwischen objektiver und subjektiver Werttheorie erheblich gemindert werden.

16 Einwände gegen die Grenznutzentheorie

Der Kampf um das Wesen der Produktionskosten, sowie bezüglich der Geltung des Kostengesetzes, hat, wie wir sahen, die ursprünglichen Gegner der Grenznutzenlehre einerseits durch die Umdeutung des Kostenbegriffes, andererseits durch die Konzessionen, welche die Grenznutzentheoretiker bezüglich des Kostengesetzes machten, einander näher gebracht. Doch wurden von Anfang an gegen die neue Wertlehre teils methodische, teils sachliche Einwände erhoben, welche prinzipieller Art sind, und deshalb den Ausgleich sehr erschweren.

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Vor allem wurde der Grenznutzenlehre vorgeworfen, sie wolle das volkswirtschaftliche Treiben auf Grund von Gefühlsakten und seelischen Vorgängen erklären und löse so die Volkswirtschaftslehre in der Psychologie auf. Ja noch mehr, sie betreibe Psychologie in einer Weise, welche sich nicht auch Fachwissenschaft der Psychologie stützt.

So meint z. B. Diehl: „Das alles bedeutet ein Übergreifen auf ein fremdes Wissensgebiet und muss schließlich zu einem gewissen psychologischen Dilettantismus führen.“ (Theoretische Nationalökonomie. I. Band Jena 1916. Seite 297) Ähnlich äußert sich auch Amonn. (Vergleiche Amonn: Der Stand der reinen Theorie im II. Band der Festgabe für L. Brentano. München und Leipzig 1925.)

Ein zweiter methodischer Einwurf besteht darin, die Grenznutzenlehre wolle das ganze Wirtschaftsleben auf subjektiver Grundlage erklären, sie sei deshalb zu subjektivistisch. Dem gegenüber sei die Volkswirtschaft ein auf objektiver Grundlage ruhendes Getriebe der Menschen, welches in höchstem Maße durch objektive Gegebenheiten bestimmt wird.

Knapp hieran schließt sich ein dritter methodologischer Einwand, indem der Grenznutzenlehre vorgehalten wird, sie sei in ihrem ganzen Aufbaue individualistisch. Sie könne deshalb wohl die Entstehung der Werturteile eines Robinsons, ja vielleicht auch jene Wertungen, welche in jener geschlossenen Hauswirtschaft zustande kommen, erklären, sie eigne sich jedoch, eben infolge ihrer zu individualistischen Einstellung, nicht dafür, jene Werturteile zu erklären, welche in der Volkswirtschaft wirklich eine Rolle spielen.

Diese Einwände trafen insbesondere die österreichische Schule insofern mit Recht, als diese bei der Entwicklung der Ansichten über die Wert- und Preisbildung mit Vorliebe sich solcher Beispiele und auch solcher Gedankengänge bediente, welche der Wirtschaft Robinsons entnommen sind. Erst langsam wurde versucht nachziweisen, dass jene letzten Beweggründe, welche die Menschen in der Volkswirtschaft bewegen, auf ähnlicher Grundlage beruhen. Dem Vorwurfe, die Grenznutzenlehre sei übermäßig subjektiv aufgebaut und bekümmere sich nicht um die objektiven Kräfte der Wirtschaft, such Böhm-Bawerk durch den Hinweis zu begegnen, dass die subjektiven Werturteile als jene Linie aufzufassen seien, welche die Strahlen der objektiven Grundlagen der Wirtschaft ebenfalls aufnimmt und nur auf subjektiver Grundlage reflektiert.

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Die amerikanischen Vertreter der Grenznutzenlehre traf dieser Vorwurf weniger. Sie versuchten von Anfang an die Grenznutzenlehre weniger individualistisch aufzufassen. Sie sprechen wiederholt von einem gesellschaftlichen Grenznutzen und trachten auf diese Weise, die Lehre ihres individualistischen Charakters zu entkleiden. Insbesondere Seligman versuchte diesen Standpunkt prinzipiell zu begründen (Edwin R. A. Seligman: Social Elements in the Theory of Value. Quarterly Journal of Economics, Band XV., 1901, Seite 321-347.) und nachzuweisen, dass der Begriff des Grenznutzens nicht übertrieben subjektiv und individuell gefasst werden dürfe. Hier zeigt sich eigentlich aber das bedenkliche dieser Versuche, da der gesellschaftliche Grenznutzen schon einem Preisurteile nahekommt und sonach die prinzipielle Grenze zwischen Wert und Preis bedenklich verwischt. In etwas glücklicherer Weise unternahm es Conélissen (Chr. Cornélissen: Théorie de la Valeur, 2. Auflage, Paris 1913), den Begriff des sozialen Wertes zum Teil subjektiver Grundlage aufzubauen.

Diese methodologischen Einwände bezweifeln ihrem Wesen nach weniger die Grundlagen, auf welche die subjektive Werttheorie baut, als vielmehr jenen Dienst, welchen sei für die Erklärung der volkswirtschaftlichen Vorgänge zu leisten vermag. Nicht so verhält sich jedoch die Sache mit jenen Einwänden, welche die sachlichen Grundlagen des Grenznutzen-Gedankens angreifen.

Unter diesen stehen, wenn auch nicht zeitlich, doch dem Wesen nach an erster Stelle jene Einwände, welche die Grundlage des Grenznutzengedankens, gegen das Gossensche Gesetz gerichtet sind. Solche Einwände haben Graziadei, Lexis, Cornélissen und Spann erhoben. Sie beziehen sich teilweise auf die Bemängelung jener Vorstellung, als ob sich die Bedürfnisse des Menschen derart entschieden und klar vorstellen ließen, dass wir auf dieser Grundlage imstande wären, eine bewußte Skalierung derselben vorzunehmen. Zum Teil jedoch richten sie sich, wie bei Lexis, gegen das zweite Gossensche Gesetz, indem er bestreitet, dass die Bedürfnisbefriedigung in einer Weise erfolgen würde, welche dem Abbrechen der Befriedigung auf einem einheitlichen Intensitätsgrade der verschiedenen Bedürfnisse zustreben würde. Spann und Graziadei hingegen gehen so weit, dass sie auch das erste Gossensche Gesetz bestreiten und beweisen zu suchen, dass Güterzuwüchse keineswegs unbedingt eine Abnahme der Bedürfnisintensität zur Folge haben. Wenn auch Amonn zurückhaltender ist und sich in eine wirkliche Polemik gegen das Grenznutzengesetz nicht einlässt, so steht er doch den Gossenschen Gesetzen ziemlich skeptisch gegenüber.

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Spann behauptet vor allem, dass Güterzuwüchse nur ausnahmsweise und nur unter unnatürlichen Bedingungen einen abnehmenden Nutzen ergeben. Sonach gelte das erste Gossensche Gesetz nur für unmittelbar aufeinander folgende Genussakte, und zwar auch hier bloß dann, wenn wir uns eine isolierte Zielerreichung, also ein Gut vorstellen, welches nur einem und demselben einfachen Bedürfnis dient. Der Hauptfehler liege aber darin, dass das Gossensche Gesetz die Verbundenheit der Bedürfnisse und die Vielseitigkeit der Verwendungsmöglichkeiten vernachlässige.

Wohl noch schwerwiegender, als die gegen das Gossensche Gesetz gerichteten Angriffe, ist jener Einwand, dass mit Gefühlsintensitäten nicht gerechnet werden kann. Dieser Einwand enthält nichts weniger als die Behauptung, die Grenznutzenlehre könne, trotzdem sie darauf gerichtet ist, einen eigentlichen Wertmaßstab nicht angeben.

Schon Dietzel betonte in seiner Polemik, die Grenznutzenlehre verwerfe den sicheren Maßstab der Produktionskosten bezüglich der reproduziblen Güter, um diesen Maßstab mit einem Unbrauchbaren zu vertauschen. Auch Neumann und Čuhel bemängelten die Auffassung von der Messbarkeit des Wertes. Diehl hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass man mit Intensitätsgrößen nicht rechnen kann. Neuestens hat Amonn (Amonn in seiner erwähnten Kritik über Wieser, insbesondere Seite 339) diesen Einwand äußerst klar gefasst, indem er darlegte, dass Gefühlsintensitäten überhaupt keinen rechnerischen Ausdruck finden können und da sie quantitativ nicht fassbar sind, auch ein Addieren und Multiplizieren derselben ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Hier geht es zwar um Nutzen und Preisbildung. Aber auch das kann man üben. Zur Verbuchung von Preisen und den zugehörigen Buchungssätzen zum Üben.