. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 17 bis 18

17 Die Gegnerschaft der Zurechnungslehre

Wenn auch die Lehre von Grenznutzen ausgesprochene Gegner hat, so wird sie doch mehr oder weniger entschieden von einer sehr großen Zahl der Theoretiker angenommen. Viele jedoch, die sich wenigstens Gedanken der Subjektivität des Wertphänomens zu Eigen machen, verhalten sich der Zurechnungslehre gegenüber ablehnend und heute noch stehen sich Anhänger und Gegner der Zurechnungslehre unaussöhnlich gegenüber. Kompromisse, wie bezüglich des Wesens des Wertes oder der Deutung der Kosten, lassen sich eben auf diesem Gebiete nicht schließen, denn entweder hält man die Ergründung eines Zusammenhanges zwischen dem Anteile der zusammenwirkenden Produktionsfaktoren und ihrem Ergebnisse für möglich und dann muss man die Zurechnungslehre in dieser oder jener Fassung auch annehmen, oder aber man hält es überhaupt für ausgeschlossen, einen solchen Zusammenhang zu finden, und dann muss man jeden Gedanken an eine Zurechnungsmöglichkeit abweisen.

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Anfangs glaubte man, die Unmöglichkeit der Zurechnungslehre daran erweisen zu können, dass man dieser Lehre die Unmöglichkeit einer irgendwelchen Aufteilung des Ertrages einer Produktionsgruppe auf die mitgewirkten Produktionsfaktoren vorhielt. Demgegenüber behaupten jedoch die Vertreter der Zurechnungslehre, es handle sich ja nicht um eine physische Zurechnung, also um eine sachliche Aufteilung des Ertrages, sondern um eine Wertzurechnung, somit um die Ermittlung jenes Anteiles, welchen die einzelnen Produktionsgüter am Werte des Ertrages haben. Mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit einer physischen Aufteilung ist also der Zurechnungslehre nicht beizukommen. Nur in einem Falle wird durch den Hinweis auf die Unmöglichkeit der physischen Zurechnung der Boden der Zurechnungslehre überhaupt entzogen, nämlich, wenn man mit Liefmann und Mohrmann in der physischen Zurechnung den Boden für die Wertzurechnung erblickt.

Man muss Amonn recht geben, wenn er meint, der Ausdruck „Zurechnung“ sei nicht glücklich gewählt, da er doch immer an eine Aufteilung des Wertes erinnert, währen sich ja auch die Anhänger der Zurechnungslehre keine eigentliche Aufteilung vorstellen, sondern nur eine Bestimmung der Wichtigkeit der einzelnen in komplementärer Verbundenheit zusammenwirkenden Produktivgüter auf Grund eines Vergleiches ihrer Verwendung in den verschiedenen Produktionskombinationen. Der Ausdruck „verrechnen“ wäre demnach tatsächlich dem Grundgedanken der Zurechnungslehre viel näher liegend. (Vergleiche Amonns früher zitierte Wieserkritik Seite 330)

Der Hauptgedanke, welcher zur Ablehnung der Zurechnungslehre führt, besteht wohl darin, dass auch eine Bestimmung jenes Anteils, welcher vom erzeugten Werte einer Komplementärgruppe den einzelnen Produktivfaktoren zukommt, undurchführbar ist, da es kein Mittel gibt, diesen Anteil irgendwie vom Gesamtergebnisse der Produktion auszuscheiden. Die Einwände von Voigt, Cassel, Mithoff, Kleinwächter und anderen stützten sich immer wieder auf diese Unmöglichkeit. Hierdurch soll bewiesen werden, dass der ganze Gedanke der Zurechnung in eine Sackgasse führt, aus welcher es keinen Ausweg gibt.

Auch die Lösung Clarks und seiner Gesinnungsgenossen auf Grund der Grenzproduktivität wird sowohl in Europa als in den Vereinigten Staaten von vielen zurückgewiesen. Es wird ihr hauptsächlich entgegengehalten, dass eine Isolierung auch der Wirkung der Grenzzuwüchse an Produktionsmitteln unmöglich sei, da der durch einen Grenzzuwachs eines Produktionsgutes auch bei unveränderter Zusammensetzung der übrigen Teile der Komplementärgruppe sich ergebende Wertzuwachs wiederum kein isoliertes Ergebnis sei, sondern einen Anteil auch der übrigen Produktionsmittel enthalte, da sich eben die Produktivität derselben durch jede Änderung der Komplementärgruppe verändern müsse. „Im Produktionsprozess wirken … die Produktionsfaktoren nicht analog der Addition, sondern analog der Multiplikation.“ (Warthold, Mohrmann: Dogmengeschichte der Zurechnungslehre. Jena 1914. Seite 95)

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Schon weniger unversöhnlich sind jene Angriffe, welche anerkennen, dass bis die Zurechnung im Bereiche der Einzelwirtschaft denkbar sei, jedoch behaupten, das sie durch das Spiel der Kräfte des Marktes in der Verkehrswirtschaft umgestoßen wird und demnach für die Erklärung der Verkehrswirtschaft nichts leisten könne. Diesen Standpunkte vertritt zum Teil Davenport, indem er auf die Rolle des Unternehmers als störende Ursache der Zurechnung hinweist. Otto Conrad gibt die Möglichkeit einer Zurechnung innerhalb der Einzelwirtschaft zu, doch lehnt er seine solche für die Marktwirtschaft mit dem Hinweise ab, dass es in der Sphäre des Preises, also des Verkehrs der Güter eine Zurechnung deshalb nicht geben könne, weil sich Gebrauchsgüter und Ertragsgüter nicht in derselben Hand befinden. Auch Kleinwächter, der sich für einen unversöhnlichen Gegner der Zurechnungslehre hält, gibt eine privatwirtschaftliche Zurechnung zu, doch meint er, „dass mit dieser privatwirtschaftlichen Zurechnung die Frage nach der wirklichen (volkswirtschaftlichen) Zurechnung nicht beantwortet ist“. (Fr. v. Kleinwächter: Die Lehre vom Grenznutzen und das sogenannte Zurechnungsproblem der Wiener nationalöknonomischen Schule. Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik F. III, Band 59. 1920. Seite 126)

Durch ähnliche Einwendungen begibt sich die Kritik der Zurechnungslehre jedoch auf ein bedenkliches Gebiet, denn wird einmal die Möglichkeit der Zurechnung in der Einzelwirtschaft zugegeben, so steht man schon auf der Grundlage der Zurechnungslehre, denn richtig verstanden kann es ja keine Aufgabe der Zurechnungslehre sein, unmittelbar und ohne Zuhilfenahme der Preisgesetze die Preise der Ertragsgüter auf Grund der Zurechnung zu erklären. Alles was die Zurechnungslehre unmittelbar zu leisten hat, und wenn man in keine Begriffsvermengung geraten will, allein leisten kann, ist die Erklärung des Wertes der einzelnen Produktivgüter aus dem Produktionsergebnisse zusammenwirkender Produktionsfaktoren. Es ist kaum zu bestreiten, dass die grüßte Gegnerschaft der Zurechnungslehre aus jener Fassung dieser Lehre entstanden ist, welche die Zurechnung unmittelbar zur Grundlage nicht nur der Preisbildung, sondern auch der Einkommensbildung machen will.

18 Der Erkenntniswert der subjektiven Werttheorie

Überblicken wir jene erheblichen Meinungsverschiedenheiten, welche bezüglich des Wertproblems auch heute noch bestehen, so wird uns klar, dass es der subjektiven Werttheorie ebensowenig gelungen ist, eine von allen Seiten einheitlich anerkannte Lösung des Wertproblems zu geben, als der Produktionskostentheorie. Die Zahl ihrer Anhänger ist zwar sehr erheblich, doch wollen die Einwände gegen den Grenznutzen und noch mehr gegen die verschiedenen Durchführungen desselben nicht verstummen. Und diese Einwände beziehen sich oft auf keineswegs nebensächliche, unerhebliche Fragen, sondern berühren nur zu oft das Wesen des Grenznutzenprinzipes selbst.

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Dieser Umstand verleitete oft dazu, der subjektiven Werttheorie jede Bedeutung abzusprechen. Kann man einem solchen Urteile zustimmen? Die Antwort auf diese Frage kann nur gegeben werden, wenn wir uns zu vergegenwärtigen suchen, ob die subjektive Werttheorie zum Verständnis der Werterscheinung etwas beigetragen hat.

Hierauf kann man keinesfalls einfach verneinend antworten, denn es kann nicht bezweifelt werden, dass uns die neue Wertlehre zu gewissen Erkenntnissen verhalf, welche auf Grund der alten Werttheorie kaum zu erringen waren.

Was zunächst die Theorie der Bedürfnisse betrifft, sind weitschweifige Auseinandersetzungen bezüglich des Verdienstes der Grenznutzenlehre überflüssig, denn erst sie hat die Lehre von den Bedürfnissen geschaffen. Auch die klare Scheidung zwischen Wert und Preis ist ihr Verdienst. Die Erkenntnis, dass der Wert ein subjektives Urteil über die Bedeutung der Güter ist, der Preis hingegen ihre marktliche Geltung ausdrückt, hat sie an den Tag gefördert.

Nur wer das lange Sichabmühen der früheren Theoretiker beobachtet hat, das Verhältnis zwischen Nutzen und Wert festzustellen, kann diese Errungenschaft entsprechend einschätzen. Nicht nur vom systematischen Standpunkte aus hat sie große Bedeutung; sie war es, welche den Schlüssel zur Lösung der Antinomie des Wertes gab. Ist einmal der Nutzen als abstraktes Interesse an den Gütern, der Wert hingegen als das den Gütern entgegengebrachte konkrete Interesse begriffen, so löst sich die Frage von selbst, weshalb Diamanten einen hohen, Getreide hingegen einen niederen Wert besitzen. Der Nutzen ist eben bloß eine Voraussetzung des Wertes, und die tatsächliche Abhängigkeit von den Gütern muss immer auf bestimmte Teilmengen bezogen werden, von denen wir nur in einem, durch das Verhältnis ihrer Menge zu unseren Bedürfnissen gegebenen Ausmaße abhängen.

Durch diese Erkenntnis fiel der neuen Wertlehre eine andere reife Frucht in den Schoß. Sie konnte es mit Leichtigkeit erklären, weshalb einige für unser Leben geradezu unentbehrliche Dinge keinen Wert besitzen. Sie haben wohl einen Nutzen, sogar einen sehr großen, aber es wird kein Wert beigemessen, weil sie in Überfülle vorhanden sind und deshalb ihr Grenznutzen auf Null herabsinkt. So ergab sich die Unterscheidung zwischen freien und wirtschaftlichen Gütern von selbst.

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Auch sonst musste die subjektive Wertlehre zu einer Vertiefung der Wertlehre führen. Während nämlich der Blick der Produktionskostentheorie sich doch hauptsächlich auf den Unterschied in den Erzeugungsverhältnissen der Güter richtete und ihre Lehre so nur zur Unterscheidung von Seltenheitsgütern und beliebug vermehrbaren Gütern führte, bot sich der neuen Wertlehre ein weiterer Einblick in die Verschiedenartigkeit der Güter. Es musste sich ihr vor allem der Unterschied zwischen Konsumtions- und Produktionsgütern, welchen schon Giammara Ortes im Jahre 1774 dem Wesen nach erkannte, in grellem Lichte zeigen, da nur erstere unmmittelbar dem Verbrauche dienen, letztere hingegen nur mittelbar. Menger nannte erstere Güter erster Ordnung, die Produktionsgüter hingegen Güter höherer Ordnung, wobei er dieselben je nach ihrer Entfernung vom Endprodukte (vom Gebrauchsgut) als Güter zweiter, dritter usw. Ordnung bezeichnete. Sodann musste die subjektive Wertlehre auch jene wichtige Eigenschaft der Güter erkennen, welche wir Komplementarität nennen, nämlich die Verbundenheit, das sich Ergänzen in ihrer Wirkung. Schon Gossen befasste sich mit ihr.

Ja man könnte mit vollem Rechte behaupten, die ganze Grenznutzenlehre stehe auf der Grundlage der Komplementarität der Güter, denn die Schätzung der Vorräte nach dem Grenznutzen setzt das Vorhandensein und die gegenseitige Verbundenheit der vorhandenen Einheiten des Gutes voraus.

Was nun die Wertlehre selbst betrifft, so kann eine Vertiefung derselben durch die subjektive Werttheorie nicht bestritten werden. Mag man es abweisen, den Wert in jeder Beziehung als eine subjektive Erscheinung zu betrachten, so viel steht doch fest, dass der Boden, auf welchen der Wert keimt, subjektiver Natur ist, und der Wert - wenn er auch noch so sehr durch objektive Gegebenheiten beeinflusst wird - seinem Wesen nach jenes Prinzip ist, welches die wirtschaftlichen Entscheidungen der Menschen leitet. Viele Geister fühlten dies schon bevor es möglich war, diese Tatsache mit dem Vorgange der Wertbildung auf wissenschaftlicher Grundlage zu verbinden. Hieraus ergibt sich die unbestreitbare Tatsache, dass es erst der Grenznutzenlehre gelang, überhaupt eine Erklärung des Gebrauchswertes zu geben. Erst die Grenznutzenlehre hat es klar erkannt, dass es keinen Gattungswert, sondern bloß einen konkreten, d. h. auf Grund der gegebenen Verhältnisse bestimmten Wert gibt. (Ein entschiedener Gegner der Grenznutzenlehre, Cassel sagt: „Es ist die große geschichtliche Bedeutung der Grenznutzentheorie, in dieser Weise Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit gelenkt zu haben, bei Untersuchungen über den Wertbegriff sich immer einen konkreten Fall vor Augen zu halten.“ Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaft Jahrgang 55. 1899. Seite 434)

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Was die dritte Gestalt des Wertes, den Ertragswert betrifft, so war er schon vor der Grenznutzenlehre bekannt und Rau schenkt ihm schon seine Aufmerksamkeit, doch stand seiner eingehenden Untersuchung die Auffassung im Wege, welche die Produktivgüter einfach als Kostenelemente und so als Endpunkte der Wertbildung betrachtete. Erst für die subjektive Werttheorie wurde die Bildung des Ertragswertes ein eigenes Problem.

Gewiss hätte man diese Errungenschaften nach Gebühr gewürdigt, wenn die Vertreter der österreichischen Schule nicht so streithaft aufgetreten wären und den Gegensatz zwischen alter und neuer Werttheorie nicht so scharf zugespitzt hätten. Wenn auch Dietzel zu weit ging, als er von den „unglücklichen Schlagwörtern“ der österreichischen Gelehrten sprach, welche alles Unheil angerichtet hätten, so steckt darin doch insofern etwas Wahrheit, als die österreichische Schule - und die Hauptangriffe richteten sich gegen diese - mit einer gewissen Orthodoxie zu Werke gegangen ist, welche den Anschein erweckte, als ob ein unausgeglichener Gegensatz zwischen der klassischen Werttheorie und er Grenznutzenlehre bestünde. Nun verhält sich die Sache keineswegs so, wenigstens nicht, wenn wir berücksichtigen, dass die klassische Wertlehre und jene der Grenznutzenschule nicht denselben Wert erklären suchen. Die klassische Schule hatte ausschließlich den Tauschwert vor Augen, während die Grenznutzenlehre unmittelbar den Gebrauchswert erklärt. Die klassische Lehre betrachtete nur die objektive Seite des Wertbildungsvorganges, während die Grenznutzenlehre sich der subjektiven Seite zuwandte. Die Auseinandersetzung zwischen beiden Richtungen bewies die Einseitigkeit beider Standpunkte.

Wenn behauptet wird, dass die subjektive Wertlehre unsere Wissenschaft in mehreren Richtungen bereichert hat, so ist dies natürlich bei weitem nicht gleichbedeutend mit der Behauptung, sie hätte eine endgültige und restlos befriedigende Erklärung für das Wertphänomen gegeben. Es ist nicht zu bestreiten, dass sie tief in das Gebiet der Psychologie hinüberführt und oft ohne gekünstelte und stark komplizierte Konstruktion nicht auskommt. Hierin ist auch der Grund dafür zu suchen, dass sich die Angriffe gegen sie , wie wir sahen, mehren. Dich hieraus zu schließen, sie habe nichts zur Förderung unserer Wissenschaft beigetragen, wäre ganz verfehlt. Überdies ist sie, wenn wir von der Arbeitswerttheorie absehen, gegen welche sehr erhebliche Einwände erhoben worden sind, die einzige Erklärung, welche wir für den Wert besitzen. Können wir uns weder ihr noch der Arbeitswerttheorie anschließen und sind wir auch zu keinem Kompromiss in der Wertlehre bereit, so gibt es nur zwei Wege: Entweder eine Neubegründung der Wertlehre, oder der Versuch ohne Wertlehre in unserer Wissenschaft auszukommen.

Den ersten bestritt Spann mit seiner Theorie von der Gleichwichtigkeit. Der Versuch beruht einerseits auf der oben behandelten Kritik des Gossenschen Gesetzes, andererseits auf der Betonung des Zusammenhangs der einzelnen Leistungen bzw. Nutzen untereinander und der Unbestimmbarkeit herausgerissener Nutzungen. Das Ergebnis Spanns lautet: „Im ausgeglichenen Ganzen besteht nur ein einheitlicher, unauflöslicher Nutzen; und an diesem müssen begriffsmäßig alle Leistungen gleich teilnehmen, weshalb alle Leistungen gleich wichtig sind.“ (Spann: Gleichwichtigkeit gegen Grenznutzen. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. F. III, Band 68. 1925. Seite 307) Einen Ersatz für die Werttheorie können uns in der vorläufigen Fassung und Durcharbeitung Spanns Ausführungen nicht bieten.