. Grundproblem der volkswirtschaftlichen Theorie - 19 & 20

19 Die Gegner der Wertlehre

Die Werttheorie ist neuestens auf einen kritischen Punkt gelangt. Es wird nicht mehr um die verschiedenen Äußerungsformen des Wertes noch über subjektiven oder objektiven Ursprung desselben gestritten, sondern die Frage aufgeworfen, ob der Wert überhaupt ein nationalökonomisches Problem ist, und ob es überhaupt nötig sei, die Wertlehre beizubehalten.

Schon um die Wende des 20. Jahrhunderts hat Gottl-Ottlilienfeld das ganze Wertproblem mit dem Auge des Skeptikers betrachtet, und von einer Abrechnung mit der „sterbenden Wertlehre“ gesprochen. Das Wertproblem, meint Gottl, sei ein Scheinproblem, welches sein Dasein der Herrschaft des Wortes verdankt. Wenn Amonn auch nicht so weit geht, so meint er doch, dass für die Wirtschaft und die Wirtschaftstheorie der Wert etwas durchaus Primäres, d. h. von keinem anderen wirtschaftlichen Phänomen Abgeleitetes ist. Jede Ableitung, meint er, begebe sich außerhalb des wirtschaftlichen Erscheinungsstreites, sei demnach mit der Überschreitung des Gebietes der Volkswirtschaft gleichbedeutend. Auch Cassel hält die Wertlehre in unserer Wissenschaft für überflüssig und baut sein System ohne Werttheorie auf, indem er als das grundlegende Problem unmittelbar den Preis behandelt. Am entschiedensten jedoch wendet sich Dietzel gegen eine jede Wertlehre, indem er sie einfach für überflüssig bezeichnet.

Gottl-Ottlilienfeld ersetzt den Wertbegriff durch jenen der wirtschaftlichen Dimension. Er versteht hierunter die Richtschnur allen Veranschlagens, etwas Überpersönliches, die „Brücke die von der Vergangenheit der Preise hinüberführt in die Zukunft der Preise“ (Die wirtschaftliche Dimension. Jena 1923. Seite 23) Sie ist, meint er, eine charakteristische Zahl, eine geltende Größe (Seite 17), welche erklärt, weshalb sich die Preise ändern. (Es müsste noch hinzugefügt werden, weshalb sie sich auf dieser Höhe bilden.) Wenn sie auch in vielen von der wirtschaftlichen Dimension Gottls verschieden ist, so könnte man doch Ulisse Gobbis Begriff von der „ökonomischen Konvenienz“ in eine gewisse Parallele mit der ersteren stellen. Nur ist letztere mehr persönlich zugespitzt, indem sie auf einen Vergleich der Wichtigkeit der Güter mit dem für ihre Erwerbung aufzuwendenden Oper hinausläuft. (Vergleich Memoria sul Principio della Convenienza Economica. Atti del R. Instituto Lombardo di Scienze e Lettere. Milano 1900.)

Seite 44


Diesen Bestrebungen wurde vor allem entgegengehalten, dass durch Vermeidung des Wortes „Wert“ das Wertproblem bei weitem noch nicht aus der Welt geschafft sei (Andreas Voigt), und dass schließlich die neuen Konstruktionen, wie sie auch benannt werden, doch wieder das Wertproblem, wenn auch von einer anderen Seite betrachtet, einführen. Dies hat Diehl bezüglich der Auffassung Gottls überzeugend dargetan. Ausschalten lässt sich das Wertproblem aus unserer Wissenschaft nur, wenn man, wie Amonn, die Grenze der Volkswirtschaftslehre so ziehen will, dass sie alles, was nicht sozialen Charakters ist, ausschaltet. Doch ist Amonn selbst mit der wertfreien Erklärung des Preises bei Cassel nicht zufrieden, weil sie die Beschaffenheit der Nachfrage nicht erklärt. (Vergleich Amonns Aufsatz „Cassels System der theoretischen Nationalökonomie“ im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Band 51. 1924. Seite 42. - Auch weist Amonn hier (Seite 47) darauf hin, dass Cassel selbst nicht umhin kann, den Begriff der subjektiven Schätzung zu gebrauchen.)

Bezüglich Entwicklung der Werttheorie seien erwähnt: Zuckerkandl: Zur Theorie des Preises mit besonderer Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung der Lehre. Leipzig 1889. - Brentano: Zur Entwicklung der Wertlehre. München 1908. - Kaulla: Die geschichtliche Entwicklung der modernen Werttheorie. Tübingen 1906. - Diehl: Die Entwicklung der Wert- und Preistheorie im 19. Jahrhundert in der Festgabe für Schmoller, Band I. Leipzig 1908. - Amonn: Stand der reinen Theorie (Festgabe für Brentano), Band II. München und Leipzig 1908.

Bezüglich der klassischen Werttheorie nehme man die obengenannten Hauptwerke der Klassiker, außerdem Cairnes: Some leading Priciples of Political Economy newly expounded. London 1874; zur Hand. - Ferner Diehl: Sozialwissenschaftliche Erläuterungen zu D. Ricardos Grundgesetzen. Teil I Auflage 2. Leipzig 1905. -

Die Darlegung der Arbeitswertheorie bei Marx: Das Kapital. Band I. Auflage 7. Hamburg 1914. - Zur Kritik: Tugan-Baranowsky: Theoretische Grundlagen des Marxismus. Leipzig 1905.

Bezüglich der Grenznutzentheorie haben wir die wichtigsten Werke auf Seite 19 genannt. Von den neueren Arbeiten seien erwähnt: Schönfeld: Grenznutzen und Wirtschaftsrechnung. Wien 1924. - Birck: The Theory of Marginal Value. London 1922. - Weinberger: Die Grenznutzenschule. Halberstadt 1926.

Über die Zurechnungslehre: Wieser: Der natürliche Wert. Wien 1889. - Schumpeter: Bemerkungen über das Zurechnungsproblem. Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. 1909. - Landauer: Grundprobleme der funktionellen Verteilung des wirtschaftlichen Wertes. Jena 1923. - Hayek: Bemerkungen zum Zurechnungsproblem. Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik. F. III. Band 69. 1926. - Mohrmann: Dogmengeschichte der Zurechnungslehre. Jena 1914. -

Seite 45


Der Ideenkampf zwischen der subjektiven und der objektiven Werttheorie wurde vor allem in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik ausgefochten. Vergleich: Neue Folge, Band XIII, XVI, XX; 3. Folge, Band I, III, XXVII. - Eine Fortsetzung hatte dieser Streit in Quarterly Journal of Economics (Band VII) sowie in den Annal of the American Academy of Political and Social Sciences (Band VI). Eine vorzügliche kritische Gegenüberstellung der beiden Werttheorien gibt Emil Lederer: Grundzüge der ökonomischen Theorie. 2. Auflage Tübingen 1923 und auch Cornélissen: Théorie de la valeur. Paris 1903. -

Von den Gegnern der Wertlehre lese man vor allem Gottl-Ottlilienfeld: Die wirtschaftliche Dimension. Jena 1923. - Dietzel: Vom Lehrwert der Wertlehre. Leipzig 1921.

III Das Preisproblem

20 Das Gesetz von Angebot und Nachfrage

Es ist eine natürliche Folge der objektivistischen Denkart der vorklassischen englischen Nationalökonomie, sowie auch der Klassiker und ihrer Nachfolger, dass sie das Wert- und Preisproblem voneinander kaum zu scheiden imstande sind. Indem sie den Wert als objektive Erscheinung, und zwar als Markterscheinung fassen, zeigt er sich ihnen stets als Tauschwert und zugleich auch als Preis. Deshalb ist auch die Werttheorie zugleich auch Preistheorie.

Wenn also die objektivistische Wertlehre von zwei Gedanken beherrscht wurde, nämlich einerseits vom Verhältnis zwischen dem Begehren nach Gütern und der Menge der zur Befriedigung dieses Begehrens zur Verfügung stehenden Güter, andrerseits von den Erlangungsschwierigkeiten der Güter, so musste ihre Preislehre in dieselben Bahnen einlenken. Um so mehr als in der objektivistischen Auffassung von Anfang an die Vorstellung gegeben ist, der Preis der Güter müsse sich an den Wert derselben anlehnen.

Aus den Ansichten über den Wert ergab sich auch ungezwungen eine harmonische Preislehre. Man musste nur die beiden obengenannten Grundgedanken der Wertbildung organisch miteinander verbinden. Diese Verbindung ergab sich von selbst. Der innere, ihren Produktionsmöglichkeiten entsprechende Wert der Waren musste sich als der Kern der Preisbildung darbieten, während Schwankungen der Preise als Folge der fortwährenden Veränderungen der Marktlage erkannt wurden. So entstand aus der objektiven Wertlehre die objektive Preislehre als einer eigenartige Verbindung beider Wertgesetze, nämlich des Gesetzes der Produktionskosten und des Gesetzes von Angebot und Nachfrage.

Seite 46


Schon Cantillon spricht den Gedanken klar aus, dass der Kern der Preisbildung im inneren Wert der Waren (intrinsic value) liegt und die Gegebenheiten der wechselnden Marktlage, welche Locke in den Vordergrund rückte, nur übergebende Abweichungen verursachen. Smith führte dann diesen Gedanken durch, indem er zwischen natürlichen Preis (Normalpreis) und Marktpreis unterschied. Der natürliche Preis bildet die eigentliche Grundlage des Preises, denn diese kann nur im Wert der Ware liegen, während der Marktpreis jenen Abweichungen entspricht, welche das zeitweilige Überwiegen von Angebot und Nachfrage am Markte verursacht.

Freilich ist auch der natürliche Preis nichts Unveränderliches. Sobald sich die Produktionsbedingungen einer Ware ändern, muss auch er diesen Veränderungen folgen. Aber hier handelt es sich nicht, wie beim Marktpreis, um vorübergehende, sondern um einschneidende, mit den Wohlfahrtsbedingungen der Menschheit verbundene Veränderungen, also um Veränderungen, welche in dem objektiv-technischen Verhältnissen der Wirtschaft begründet sind.

Wie fest sich der Gedanke des Normalpreises in die von den Klassikern aufgestellte Preistheorie einfügt, geht daraus hervor, dass keine der sich auf die klassische Preistheorie stützenden Preislehren eine ähnliche Konstruktion entbehren kann. Die Benennung des Normalpreises wechselt zwar, so spricht z. B. J. St. Mill von einem notwendigen Preise. Marx und Pierson nennen ihn Arbeitspreis. Freilich macht sich die verschiedene Auffassung des Begriffes der Produktionskosten auch hier geltend.

Allerdings ist auch die klassische Preistheorie darin nicht ganz einig, welche Bedeutung den beiden Preisgesetzen beizumessen ist. Malthus z. B. meint, das Gesetz von Angebot und Nachfrage sei das eigentliche Preisgesetz, während Ricardo, James Mill und Mac Culloch das Kostengesetz betonen. Doch dieser Streit war ziemlich müßig, da man darin einig war, dass sowohl die Produktionskosten, als auch Angebot und Nachfrage auf den Preis einwirken. Bei J. Stuart Mill verschwindet auch der Gegensatz, indem er lehrt, das Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimme den Preis der nicht beliebig vermehrbaren Güter, während für die beliebig vermehrbaren Güter das Kostengesetz gelte und das Gesetz von Angebot und Nachfrage nur während der Zeit von Preisänderungen wirksam werde, doch auch in diesem Falle nur als Wirkung des Kostengesetzes.